Die Pariser Kommune: Eine gescheiterte Revolution oder Inspiration für das Morgen?


ANA – Anarchistische Gruppe Regensburg
Geschichte

150 Jahre nach der Pariser Kommune erinnern wir uns heute daran. Aber was bleibt? 20 000, 30 000 Tote, die Zahlen variieren. Wieder eine gescheiterte Revolution. Und die Frage: War es das wert? Was hat es gebracht?

Versetzen wir uns also in das Jahr 1870, es ist September und zwischen Deutschland und Frankreich wütet ein sinnloser Krieg. Aufgrund der zahlreichen Niederlagen der französischen Armee und der Angst vor einer deutschen Besatzung wird eine neue Republik ausgerufen, da man dem monarchistischen System unter Napoleon III. keine kriegerischen Erfolge mehr zutraut. Zudem gibt es bereits starke radikal demokratische Fraktionen, die unter der roten Fahne Selbstbestimmung und freie Wahlen fordern. Die neue Republik setzt den Krieg fort, einerseits aus nationalistischen Gründen, andererseits um sich dem monarchistischen Einfluss Deutschlands unter Otto von Bismarck zu widersetzen.

Ab 11. September gibt es bereits eine inoffizielle Gegenregierung mit der Forderung nach der Schaffung von Kommunen. Kommune bedeutet in diesem Kontext die autonome Selbstverwaltung einer Stadt und steht in totalem Gegensatz zu Zentralregierung und Monarchie. Es folgt die Bildung einer teilweise revolutionär eingestellten Nationalgarde.

Während der preußischen Belagerung entstanden auch erste Frauenorganisationen in Paris. In den Stadtteilen organisierte die Einwohnerschaft, dabei in der Mehrheit Frauen, ihren Schutz und ihre Versorgung selbst in sogenannten „Wachsamkeitskomitees“. Gerade das Organisieren von Essen und Brennmaterial, was bekanntlich zu klassischen Frauenaufgaben gehörte, war während der Belagerung überlebensnotwendig. Durch die daraus entstandenen Netzwerke politisierten sich die Frauen immer mehr. Im Januar 1871 kam es schließlich zu einem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland mit der deutschen Forderung nach Entwaffnung.

Diese fand jedoch nicht statt, aus Furcht vor revolutionären Erhebungen und einem Bürgerkrieg gegen die Zentralregierung. Drei Monate später wurden die meist bürgerlichen Bataillone aus Paris abgezogen, wodurch revolutionäre Nationalgardisten kräftemäßig überlegen waren. Diese Situation führte dazu, dass sofort nach Abzug der deutschen Armee Polizeiposten gestürmt und Waffen in erheblichem Umfang erbeutet und verteilt werden konnten. Überläufer schlossen sich den Revolutionären an, was eine deutliche Kampfansage an die frisch gewählte zentralistische Nationalversammlung war. Zum Zündfunken des Aufstands wurde letztendlich der Versuch der Zentralregierung, der Nationalgarde die aus den Beständen der Armee geplünderte Artillerie wieder zu entreißen.

Am frühen Morgen des 18. März 1871 waren proletarische Frauen die ersten, die in den Straßen von Paris unterwegs waren, denn sie mussten Nahrungsmittel organisieren. Dadurch waren sie auch die ersten, die bemerkten, dass die Regierungstruppen die Kanonen stehlen wollten. Sie hielten die Soldaten mit Gesprächen auf bis die Nationalgarde eintraf und konnten sogar einige zum Überlaufen bewegen. Damit begannen die Tage der Pariser Kommune. In der Stadt herrschte direkte Demokratie: Das heißt, die Regierung war jederzeit abwählbar, auch alle Beamten konnten gewählt und abgewählt werden. Der lebendigste Ort der Demokratie war jedoch nicht der Stadtrat, sondern die vielen Komitees in den Vierteln und die Clubs, in denen die Belange der Menschen debattiert wurden. Wichtiger als irgendwelche von den Kommunarden beschossenen Gesetze war, wie sie durch ihre tägliche Arbeit verfestigte Hierarchien und Spaltungen aufbrachen, ebenso wie die Trennung zwischen manueller und künstlerischer oder geistiger Arbeit. Ein Beamter verdiente beispielsweise lediglich so viel wie ein normaler Arbeiter.

Was die Kommune als politisch-gesellschaftliches Medium der Fabrik als klassischen Nährboden der Revolution voraushatte, war ihr breiterer sozialer Rahmen: Sie schloss auch Frauen, Kinder, die Bauernschaft, Alte und Arbeitslose mit ein.

Der revolutionäre Geist der Kommune zeigte sich in den vielen großen und kleinen Veränderungen des Lebens in der Stadt. Als fundamentaler Fortschritt mit weitreichenden Folgen wurde die Trennung von Staat und Kirche eingeführt, so konnten Schulen den Kindern aller Schichten zugänglich gemacht werden und waren noch dazu kostenlos.

Genauso weitreichend waren die radikalen Maßnahmen, mit denen die Arbeiter:innen ihren Alltag verbesserten: die Arbeitszeit wurde von 16 auf zehn Stunden verkürzt und es gab ein Verbot der Nachtarbeit in Bäckereien.

Die Fabriken geflohener Werksbesitzer gingen in gesellschaftliches Eigentum über und wurden unter Arbeiter:innenkontrolle weitergeführt. Das heißt, sie wurden zu gemeinsam verwalteten Genossenschaften.

Mit dem Beginn der Kommune bildeten sich überall revolutionäre Frauenkomitees, die auf die Solidarität der Frauen während der preußischen Belagerung zurückgingen. Dennoch war ihnen der Zugang zum höchsten Gremium, dem Rat der Kommune, bestehend aus 90 Mitgliedern, verwehrt. Die Wahl dazu fand acht Tage nach dem Beginn der Pariser Kommune statt. Deshalb wurde wohl das alte Gesetz, das Frauen vom Wahlrecht ausschloss, noch nicht hinterfragt. Fraglich ist, ob sich die Frauen diese Diskriminierung einige Wochen später noch hätten gefallen lassen. In jedem Fall legten die revolutionären Frauen von Paris einen ungemeinen Tatendrang an den Tag: Sie setzten sich für gleiche Rechte in Ausbildung, Beruf und Gesellschaft ein. Sie organisierten selbstverwaltete Werkstätten, bildeten Frauengewerkschaften, gründeten Volksküchen, übernahmen die Neugestaltung des Erziehungswesens, versorgten und pflegten Verwundete und kämpften mit der Waffe in der Hand. Weiterhin verankert in den Wachsamkeitskomitees der einzelnen Stadtteile gelang es ihnen Einfluss auf politische Willensbildungsprozesse und Entscheidungen zu nehmen. Die größte Frauenorganisation war die „Union des Femmes“, die Frauenunion, gegründet von der Russin Elisabeth Dimitrieff. In den verschiedenen Frauenorganisationen trafen unterschiedliche Positionen aufeinander. Aber alle stritten für ein solidarisches, gleichberechtigtes Miteinander und alle waren ein äußerst aktiver Bestandteil der Pariser Kommune.

Louise Michel – Anarchistin, Lehrerin und unbeugsame Kämpferin für die Ideale der Kommune bis zu ihrem Lebensende – beschrieb in ihren Memoiren den Aktionismus der Frauen: „Die Frauen fragten nicht danach, ob eine Sache möglich war, sondern ob sie nützlich war – und dann gelang es (…), sie durchzuführen.“ Trotzdem scheiterte die Kommune an der militärischen Überlegenheit der Zentralregierung. Allein bei den Kämpfen in der sogenannten „Blutwoche“ vom 21. bis 28. Mai, als Versailler Truppen Paris einnahmen, gab es 20 000 bis 30 000 Tote auf Seiten der Kommune. Tausende wurden ohne offizielles Urteil exekutiert.

Doch was bringt uns nun der Blick in die Vergangenheit? Sind wir heute nicht meilenweit von einer revolutionären Situation entfernt? Stimmt, aber die die Kommune fiel damals auch nicht vom Himmel. Der Weg dorthin begann lange vorher, während den letzten Jahren des Kaiserreichs in den Clubs der Arbeiter:innen, in den zahlreichen politischen Versammlungen und Komitees. Die Internationale Arbeiter Assoziation hatte großen Einfluss auf die Kommunard:innen, genau wie die revolutionäre Stadtverwaltung während der französischen Revolution. Diese Art der Vorarbeit können auch wir heute leisten, wenn wir uns organisieren und die Verbreitung revolutionärer Ideen vorantreiben. Und auch heute verwalten sich Gemeinschaften fast so wie damals in Paris. Die zapatistischen Gemeinden in Mexiko und die Region Rojava in Nordsyrien haben eine direkt gewählte Räteregierung. Es gibt dort die Versuche, die Wirtschaft durch Kooperativen und Genossenschaften anders zu gestalten, und die Befreiung der Frau steht sowohl im zapatistischen Mexiko als auch in Rojava ganz oben auf der Agenda.

Die Tage der Kommune haben gezeigt, dass direkte Demokratie möglich ist. Die Pariser Kommune wirkte letztendlich nachhaltig auf revolutionäre Ereignisse der Geschichte und der Gegenwart, gerade auch in Sachen Frauenrechte und Frauenkämpfe. Sie inspirierte die internationale Frauenbewegung. Stets ging und geht es um die Suche nach Alternativen zum kapitalistischen und patriarchalen System. Der breite, gesamtgesellschaftliche Organisierungsgrad der Kommune zeigt uns, dass eine Bewegung inklusiv sein muss. Wichtig ist daher in unseren Tagen, neben dem klassischen Fokus auf Lohnarbeit auch gesamtgesellschaftlich brennende Fragen wie Wohnen und Umweltzerstörung als Teil des Kampfes zu sehen. So können, wie während der Tage der Kommune, möglichst viele Menschen durch ihre direkte Betroffenheit einbezogen werden. Gleichzeitig darf der ökonomische Bereich nicht außer Acht gelassen werden. Die Aneignung der Produktionsmittel muss ein zentraler Schritt einer revolutionären Bewegung sein, damals wie heute. Es genügt nicht, Gleichheit im politischen Bereich, also durch Demokratie, zu schaffen, wirkliche Gleichheit wird es erst geben, wenn der gesellschaftliche Reichtum gleich verteilt ist.

AnA- Anarchistische Gruppe Regensburg

ANA – Anarchistische Gruppe Regensburg

Seit 2017 gibt es die ANA - anarchistische Gruppe Regensburg. Sie vertritt einen Anarchismus ohne Adjektive.

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