Klassenkampf in der Traumfabrik


Frederik Fuss
Streik USA

Seit dem 2. Mai diesen Jahres streiken die DrehbuchautorInnen der Gewerkschaft Writers Guild of America (WGA), am 12. Juli votierten 98% der Mitglieder der SchauspielerInnengewerkschaft SAG-AFTRA dafür, ebenfalls zu streiken. Es ist der erste gemeinsame Streik der beiden Gewerkschaften seit 1960. Was sind die Gründe für die Streiks und was können wir von ihnen lernen und uns erhoffen?

So manchem mag es seltsam anmuten, sich für den Streik in Hollywood (wobei Hollywood hier weniger den Stadtteil von Los Angeles, sondern mehr die US Film-, Serien- und Showproduktion in Gänze meint) zu interessieren, da Stars wie Matt Damon oder Robert Downey Jr. – die öffentlichkeitswirksam in den Streik traten – wohl mehr als genug Geld verdienen. Doch geht es beim Streik von WGA und SAG-AFTRA nicht um die Stars und GroßverdienerInnen, sondern vorwiegend um das Schreib- und Schauspielproletariat, das von der Arbeit kaum leben kann. 49% der AutorInnen verdienen inzwischen nur noch den gewerkschaftlich vereinbarten Mindestlohn – 2013 waren es noch 33%. Viele SchauspielerInnen hangeln sich mühselig von einem Job zum nächsten und bekommen für die Wiederholungen der mit ihnen produzierten Formate Cent-Beträge.

Die glamouröse Fassade Hollywoods beginnt nicht erst seit gestern zu bröckeln, doch durch die Weigerung der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) auf die Forderungen der Gewerkschaften einzugehen und öffentlich gewordene Äußerungen eines AMPTP Mitglieds, dass sie die Sache solange aussitzen wollen, bis die Gewerkschaftsmitglieder ihre Wohnungen und Häuser verlieren, kratzen immer mehr vom goldenen Lack ab.(1)

Gewinnmaximierung, Isolation und Technik

Das Geschäft von Film und Fernsehen hat sich in den letzten Jahren stark verändert, vorwiegend durch das Aufkommen von Streamingplattformen. Das hatte zur Folge, dass immer mehr Geld für Serien und Filmproduktionen aufgebracht wurde, jedoch gleichzeitig auch die Produktionskapazitäten auf ein noch nicht dagewesenes Level angehoben wurden. Unterm Strich blieb somit für die meisten Produktionen weniger Geld übrig, als es vor diesem Wandel gab. Das betrifft natürlich in erster Linie die Gehälter, AutorInnen und SchauspielerInnen (aber auch diejenigen, die Stunts ausführen und selbstverständlich sind StatistInnen auch SchauspielerInnen) werden häufiger zum Mindestlohn beschäftigt, Festanstellungen in Studios werden vermieden und die Fristen für Drehbücher bzw. die Produktionstage werden gekürzt. Zudem werden die Honorare dadurch weiter gesenkt, dass die Staffeln von Serien inzwischen nahezu regulär weniger Folgen haben als früher.

Zusätzlich werden die Arbeitsbedingungen der AutorInnen massiv verschlechtert. Eine inzwischen gängige Praxis ist es zwei bis vier AutorInnen in einem sogenannten Mini Room (gut die Hälfte der AutorInnen die in einem regulären Writers Room tätig sind) zu deutlich reduzierten Gehältern Folgen für Serien schreiben zu lassen, bevor klar ist, ob diese überhaupt produziert werden sollen. Damit wird nicht nur beim Gehalt gespart, sondern auch der Produktionsprozess weiter rationalisiert, indem Schreiben und Produzieren als getrennte Tätigkeiten voneinander isoliert werden. Das ist nicht nur ein nachholender Taylorismus in der Kreativbranche, sondern vereinzelt die AutorInnen zunehmend und fixiert sie auf den ihnen zugewiesenen Platz, da so die vorher üblichen Aufstiegs- und Anstellungsmöglichkeiten ausgehebelt werden.

Ein weiteres Mittel, wodurch die Löhne gedrückt und die Gewinne gesteigert werden sind die sogenannten residuals, die bereits erwähnten Wiederholungsgehälter. Für die erneute Ausstrahlung, Rechteverkäufe oder DVD-Verkäufe bekommen SchauspielerInnen anteilig Geld gezahlt, dies machte bis vor einigen Jahren einen nicht unwesentlichen Teil ihres Lebensunterhalts aus. Mit den Streamingdiensten ergab sich eine neue Situation, die Anbieter können unentwegt mit der einmaligen Bereitstellung Geld verdienen und auf Grund fehlender Regulierung die SchauspielerInnen mit Cent-Beträgen abspeisen. Einen höheren Anteil bei den residuals zu erwirken, ist eines der Hauptziele von SAG-AFTRA.

Gemeinsame Sorge von WGA und SAG-AFTRA ist der mögliche Einsatz künstlicher Intelligenz. Drehbücher könnten künftig von einer KI geschrieben werden, gerade hinsichtlich sogenannter Second-Screen Serien (also Serien die nebenher laufen, während man eigentlich etwas anderes macht und die entsprechend wenig Aufmerksamkeit fordern und plumpe Handlungsstränge haben) ist das ein realistisches Szenario. Ebenso die Aussicht, dass StatistInnen künftig überflüssig werden könnten, da sich diese mittels Computer generieren lassen oder die Sorge, SchauspielerInnen könnten mittels eines KI gemachten Abbildes vollkommen ersetzt werden – CGI Charaktere hat es inzwischen schon häufiger gegeben.

Besonderheiten im Streik

Der Streik von WGA und SAG-AFTRA weist ein paar Besonderheiten auf, die für AnarchistInnen interessant sind. Zum einen ist es ein Sektor der in weiten Teilen prekäre Arbeitsverhältnisse aufweist, es werden also in der Regel projektbezogene Verträge vergeben, eine langfristige ökonomische Sicherheit gibt es für die Wenigsten. Dennoch gibt es eine kontinuierliche gewerkschaftliche Organisierung und Arbeit, die die Macht der ArbeiterInnen bündelt und das Film- und Fernsehkapital in Bedrängnis bringen kann. Zum anderen sehen wir einen interessanten Solidarisierungseffekt. Nicht nur, dass sich der Streik inzwischen von den AutorInnen auf die SchauspielerInnen ausgeweitet hat, auch andere Gewerkschaften aus Hollywood solidarisieren sich offen mit dem Streik. Zwar hat die Gewerkschaft der RegisseurInnen (DGA) eine Einigung mit AMPTP erzielt, sie stärkt den Streikenden aber weiter den Rücken. Lindsay Dougherty, Gewerkschaftsvorsitzende von Los Angeles 399, dem lokalen Ableger der Gewerkschaft Teamsters, solidarisierte sich mit den Streikenden und sicherte zu, dass die gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen in der Unterhaltungsbranche (Hollywood Basic Craft) nicht dazu beitragen würden, den Streik zu brechen und verweist auf die gemeinsamen Interessen als ArbeiterInnen. Faktisch kommt das bereits einem Solidaritätsstreik gleich. Gemeinsam mit dem Teamsters Präsidenten Sean M. O´Brien betont sie, dass die ArbeiterInnen sich vereinen und solidarisieren müssen um eine Chance gegen das Unterhaltungskartell zu haben.(2) Ein Versuch die Mitglieder von WGA und SAG-AFTRA unter moralischen Druck zu setzen, da durch ihren Streik auch andere ArbeiterInnen betroffen wären, ist damit nicht erfolgreich gewesen.

Auffällig ist auch die öffentlichkeitswirksame Unterstützung durch Prominente, die selbst in den Streik treten, obwohl sie von einem besseren Mindestlohn überhaupt nicht profitieren, da sie ohnehin deutlich besser bezahlt werden. Ob sie wider ihrer eigenen Interessen handeln, darf bezweifelt werden, auch und gerade bei Vorschlägen wie sie von Mark Ruffalo verbreitet werden, selbst wenn diese im ersten Moment sympathisch klingen. Ruffalo plädierte dafür, dass Stars wie er von nun an vorwiegend in Independent-Filmen mitspielen, also in Filmen aus unabhängigen Studios, die mit einem niedrigeren Budget produziert werden als Hollywood-Blockbuster und in der Regel weniger Aufmerksamkeit bekommen. Diese Verlagerung der Rollen die Stars annehmen, solle ein neues Film- und TV-Netzwerk schaffen, dass dann wiederum einen „echten Wettbewerb“ schaffe und die Macht der großen Produktionsfirmen breche.(3)

Selbst wenn Ruffalo das aus reinem Humanismus vorschlagen würde, wäre es am Ende nichts anderes, als der Versuch eine neue Kapitalfraktion zu bilden, die den Platz der bisher vorherrschenden Kartelle einnehmen soll und – weil das mit dem Wettbewerb eben so ist – am Ende dieselben Verhältnisse hervorbringen würde, wie sie heute bei AMPTP vorherrschen. Trotzdem könnte so eine Verlagerung einen Raum eröffnen, in dem sich potenziell etwas Grundlegendes ändern könnte – zumindest, wenn es die ArbeiterInnen bewusst forcieren würden: die Funktionsweise und Rolle der Kulturindustrie.

Von der Kulturindustrie zur selbstverwalteten Kultur

Filme und Serien sind kulturindustrielle Produkte, die einen gewissen Zweck in dieser Gesellschaft erfüllen. Sie produzieren Ideologie, sie erzeugen das Einverständnis der Beherrschten mit ihrem beherrscht werden. „Vergnügen heißt allemal: nicht daran denken müssen, das Leid vergessen, noch wo es gezeigt wird. Ohnmacht liegt ihm zu Grunde. Es ist in der Tat Flucht, aber nicht, wie es behauptet, Flucht vor der schlechten Realität, sondern vor dem letzten Gedanken an Widerstand, den jene noch übriggelassen hat.“ (Horkheimer/Adorno) Offenkundig wird dies, wenn man die Vielfalt an Serien betrachtet, die von Netflix und Amazon produziert wurden und die den Dienst der Eingemeindung ausgestoßener und marginalisierter Communities übernommen haben. Wo einmal Widerstand war, ist er kanalisiert worden, alle finden sich in den Serien repräsentiert, ihre Lebenswelt wird dargestellt, die Konflikte werden abgebildet. Damit ändert sich die schlechte Realität zwar nicht, doch wird dem Leid der Individuen das Potenzial genommen, sich subversiv auf diese auszuwirken. Wo noch von einem ‚besseren Morgen‘ geträumt werden darf, bildet sich dies in der Pseudoindividualität ab, die jeder kulturindustriellen Produktion innewohnt, mit der ein Kulturkonsens suggeriert wird, der die gesellschaftlichen Antagonismen verdeckt.

Wenn die Strategie der klassischen Kulturindustrie von Produktion und Vermarktung nicht mehr lückenlos aufgeht und sich Netzwerke bilden, die bewusst anders sein wollen, die im besten Fall versuchen, andere Produkte zu erzeugen, wäre damit ein Moment geschaffen, der wirklich einen Schritt nach vorne bedeuten könnte, auch weit über den kulturellen Sektor hinaus. Denn wenn die Kulturindustrie ihre Rolle der permanenten Ideologieproduktion nicht mehr oder zumindest nur noch teilweise ausführen könnte, eröffnet das weiteren Handlungsspielraum für gesellschaftliche Gegenentwürfe. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich solche Netzwerke nicht sofort dem Alten angleichen, sie werden es sicher mit der Zeit, wenn nicht bewusste ArbeiterInnen versuchen es zu verhindern. Leider ist es bemerkenswert still um fortschrittliche ArbeiterInnenorganisationen wie die IWW bzgl. des Streiks in Hollywood. Die möglicherweise aufkommende Gelegenheit kann nur genutzt werden, wenn es ArbeiterInnen planvoll forcieren. Für Deutschland gilt es die Situation ebenfalls weiter zu beobachten. In Köln gingen DrehbuchautorInnen in Solidarität mit der WGA auf die Straße, benannten aber auch die Probleme vor Ort. Eine anarchosyndikalistische Agitation und Intervention wäre möglich, hierfür kann es nicht schaden, sich vertieft mit den Schwierigkeiten der Branche auseinanderzusetzen und die Erfahrungen die mit a-typischen Beschäftigungsverhältnissen aus anderen Branchen gemacht wurden, zu reflektieren und zu fragen, was sich daraus übertragen lässt. Ebenso wichtig ist es, bereits ein anderes Bild von Kulturproduktion zu entwerfen, das bewusst als Ziel in einer Bewegung von Kulturschaffenden implementiert werden kann. Einen Auftakt hierfür hat Helge Döhring mit seinem Text zu Theaterbörsen in der ersten Ausgabe der Kampfgeister gemacht.

Fußnoten:

(1) Vgl.: https://deadline.com/2023/07/writers-strike-hollywood-studios-deal-fight-wga-actors-1235434335/
(2) Vgl.: https://www.vanityfair.com/hollywood/2023/05/meet-the-writers-strikes-secret-weapon-hollywood-teamsters-boss-lindsay-dougherty; https://www.ht399.org/teamsters-statement-on-sag-aftra-strike/
(3) Vgl.: https://www.moviepilot.de/news/sie-haben-ein-imperium-von-milliardaeren-geschaffen-und-halten-uns-fuer-wertlos-mark-ruffalo-will-hollywood-fuer-immer-veraendern-indem-er-den-streik-ausnutzt-1142533

Frederik Fuß

ist Kollektivmitglied im Syndikat-A Verlag und Redakteuer der Tsveyfl - dissensorientierten Zeitschrift.

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