Gedanken zum „Konspirationistischen Manifest“


Alfred Masur
Rezension Theorie

„Sich verschwören, also“

„Wir sind Konspirationisten, wie von nun an alle vernünftigen Menschen.“ So beginnt das „Konspirationistische Manifest“, eine anonyme Flugschrift aus Frankreich, die neuerdings auch in deutscher Übersetzung kursiert. Leute, die sich offen dazu bekennen, „Konspirationisten“, also Verschwörungstheoretiker:innen zu sein und diese Haltung sogar zur einzig vernünftigen erklären? Das erscheint heutzutage vielen als gewagte Provokation. Aber es macht auch neugierig. Schauen wir uns also genauer an, worum es sich handelt.

Die Autor:innen des Buches sind unbekannt. Es entstammt aber offenbar dem Umfeld des „Unsichtbaren Komitees“, jener französischen Gruppe, die vor gut zehn Jahren mit dem anarchistisch-kommunistischen Pamphlet „Der kommende Aufstand“ für einiges Aufsehen gesorgt hat. Die Originalausgabe des „Konspirationistische Manifest“ erschien Anfang des Jahres bei dem französischen Traditionsverlag Editions du Seuil. Für die deutsche Übersetzung ließ sich offenbar kein Verlag finden; sie kann jedoch direkt über die Emailadresse des Übersetzer:innen-Kollektivs konspiration@protonmail.com in gedruckter Form bestellt oder online gelesen werden.

Der Anlass, sich als „konspirationistisch“ zu bezeichnen, wird wohl die Frustration darüber gewesen sein, dass während der Covid-Krise jeder Versuch, sich jenseits des offiziellen Narrativs seinen eigenen Reim auf das Geschehen zu machen, schnell mit dem Label der „Verschwörungstheorie“ versehen und damit eine offene Diskussion über die Corona-Politik verhindert wurde. Eine klassische Aneignung und positive Besetzung einer abwertenden Fremdbezeichnung also. Dennoch ist die Schrift weit mehr als ein „Corona-Manifest“ (1), wie sie in der WELT genannt wurde.

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Begrifssbestimmungen

Was verstehen die Autor:innen genau unter einer „Konspiration“? „Vor allem muss der Konspiration ihre Aura des Außergewöhnlichen genommen werden“, so das Manifest. Conspirare heißt im Lateinischen wörtlich „gemeinsam atmen“, im übertragenen Sinne bezeichnet es eine innere Übereinstimmung zwischen Personen. „Überall dort, wo Menschen die gleiche Luft atmen und den gleichen Geist teilen, entsteht eine Konspiration.“ Verschwörungen seien also etwas Alltägliches, das überall vorkommen kann. „Jedes Mal, wenn Freunde offen miteinander reden, jedes Mal, wenn zwischen Menschen etwas passiert, auf der Straße, im Café oder beim Tanz, haben wir es mit dem Beginn einer Verschwörung zu tun.“

Dann gelte es, die Verschwörung vom Komplott zu unterscheiden. „Das Komplott evoziert das Bild der Verschworenen, die im selben Zimmer versammelt sind und ihrem expliziten und geteilten Willen folgend einen genauen Plan schmieden.“ Dagegen sei die Verschwörung räumlich und personell weniger klar umgrenzt. Sie „hat es nicht nötig, dass sich ihre Mitglieder versammeln. (...) Ihre Eintracht bleibt stillschweigend, diffus, so schwer zu fassen wie eine Idee.“ Letztlich bestehe sie einfach darin, dass in einer bestimmten sozialen Gruppe oder in einem Beziehungsnetzwerk ein Gemeingeist existiere, der ein effektives Handeln in eine Richtung ermöglicht, ohne dass es dafür notwendigerweise ein Zentrum geben muss, das Befehle erteilt. Solche „objektiven Verschwörungen“ könnten sich wiederum manchmal „in eine verborgene Vielzahl lokaler Komplotte aufspalten“.

Die Wortwahl erscheint zunächst etwas ungewohnt, die meisten würden wahrscheinlich intuitiv das als „Verschwörung“ bezeichnen, was im „Manifest“ ein „Komplott“ genannt wird. Aber die begriffliche Differenzierung hat auch ihre Vorzüge. So lässt sich mit ihr etwa das Phänomen, dass zu Beginn der Corona-Pandemie oder jetzt zum Krieg in der Ukraine alle „seriösen“ Medien mehr oder weniger dasselbe bringen, als Ausdruck einer „objektiven Verschwörung“ beschreiben, für die es keinen Masterplan der Regierung braucht, der jeder Journalistin ihre Formulierungen diktiert. Vielmehr sei es so, dass „die Einhelligkeit der täglichen journalistischen Fälschung“ sich „in erster Linie aus einem Struktureffekt ergibt, aus ideologischer Uniformität, aus sozialer Auslese, aus professioneller Unterwürfigkeit“. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass hier und da mit einem kleinen Komplott nachgeholfen wird, etwa einer diskreten Personalentscheidung zuungunsten eines etwas zu kritischen Redakteurs.

Um die moderne Welt zu verstehen, sei es daher laut dem „Manifest“ nicht hinderlich, sondern im Gegenteil absolut notwendig, die Verschwörungen nachzuvollziehen, die das Handeln der politischen relevanten Kräfte strukturieren. Dabei grenzen sich die Autor:innen aber durchaus von dem ab, was vielleicht als „Vulgärverschwörungstheorie“ bezeichnet werden könnte: der Suche nach einem einzigen Mittelpunkt, einer geheimen Kommandozentrale, von der aus das ganze Weltgeschehen erklärt werden könne. „Der Wahnwitz besteht nicht im Verschwörungsglauben, sondern im Unter-Verschwörungsglauben: darin, nur ein großes Komplott wahrnehmen zu wollen, wo es doch unzählige gibt.“ Demnach ist, wenn sich etwa Querdenker:innen Bill Gates als Mega- Spinne inmitten eines gigantischen Netzes vorstellen, daran nicht falsch, dass sie diesem Herrn böse Absichten und große Macht unterstellen, sondern, dass sie ausblenden, dass es noch viele andere mächtige Akteur:innen gibt, die jeweils ihre eigenen, teilweise entgegengesetzen Pläne verwirklichen wollen.

Verschwörungen der Herrschenden gegen die Beherrschten

Dass die Herrschenden sich gegen uns verschwören müssen, liegt für die französischen Konspirationist:innen in der Natur der Sache: „Keine Macht erhält sich anders als dadurch, dass sie sich gegen diejenigen verschwört, über die sie ausgeübt wird – Lohnabhängige, Staatsbürger, Kunden, Bevölkerung, Patienten, Angeklagte oder Gefängnisinsassen“. Die Herrschenden sind stets kleine Cliquen, die sich gegenüber der ihnen zahlenmäßig weit überlegenen Masse der Beherrschten nur behaupten können, wenn sie über Organisation, gemeinsame Ideen und Strategien verfügen. Sie müssen es außerdem verstehen, die Bevölkerung durch geeignete Ideologien an sich zu binden und kollektiven Widerstand von unten zu verhindern.

Das „Konspirationistische Manifest“ ist letztlich ein Versuch, die verschiedenen Strategien und Techniken nachzuzeichnen, mithilfe derer sich der moderne Kapitalismus trotz all des von ihm verursachten Leids und trotz all der Kämpfe der Unterdrückten nicht nur am Leben erhält, sondern es auch immer wieder schafft, in die Offensive zu kommen. Es geht unter anderem um die Geschichte der mentalen Beeinflussung und der psychologischen Kriegsführung, von den Folter- und Drogenexperimenten der CIA in den 1950er Jahren bis zu den Algorithmen, die das Internet strukturieren. Der „duale“ Charakter vieler unseren Alltag prägenden Technologien wird untersucht, deren zivile Nutzung stets einen militärischen Aspekt verbirgt. Es wird gezeigt, dass demokratische Regierungskunst nicht so sehr darin besteht, Befehle zu erteilen, sondern uns durch Einwirkung auf unsere Lebenswelt – von der städtischen Umwelt bis zu den virtuellen Umgebungen – dazu zu bringen, freiwillig das zu tun, was von uns erwartet wird. Es wird reflektiert, inwiefern unsere Abhängigkeit von großen, unserer Kontrolle entzogenen Infrastrukturnetzen – Schienen, Straßen, Pipelines, Kabeln usw. – zur Stabilisierung der politischen Herrschaft beiträgt. Außerdem geht es um viele andere Aspekte des modernen Lebens, die alle auf ihre Art dazu beitragen, unsere Unterwerfung zu vertiefen.

Ein zentraler Gedanke des „Manifests“ ist es, dass die Herrschaft äußere Bedrohungen braucht, vor deren Hintergrund sie sich gegenüber der Bevölkerung als unverzichtbare Schutzmacht inszenieren und repressive Maßnahmen rechtfertigen kann. Während des Kalten Krieges habe die „kommunistische Gefahr“ aus dem Osten diese Funktion erfüllt, nach dem 11. September 2001 habe „der Terrorismus“ die Rolle des Bösen übernommen, der die westlichen Regierungen als die „Guten“ erscheinen ließ. Seit 2020, so das „Manifest“, nutzten die Herrschenden den „Krieg gegen das Virus“, um ihre vielerorts angekratzte Autorität wiederherzustellen. Die Autor:innen behaupten dabei nicht, dass die jeweiligen Bedrohungen erfunden seien: Coronaviren gibt es wirklich, ebenso wie islamistische Attentate und sowjetische Atomraketen. Der entscheidende Punkt sei jedoch, dass die Regierungen die von ihnen propagierte Umgangsweise mit der jeweiligen Bedrohung zu einzig möglichen erklären und damit sowohl sich selbst als unentbehrlich setzen als auch alle Kritiker:innen ihrer Maßnahmen als verantwortungslos oder gar als Kollaborateur:innen mit dem Feind denunzieren können.

Sicher werden viele Leser:innen nicht mit allen Schlussfolgerungen übereinstimmen; aber man muss zugeben, dass dies alles erstaunlich gut recherchiert ist und Einblicke in verschiedene Aspekte der Herrschaftsarchitektur eröffnet, über die man so bisher nicht nachgedacht hat. Zudem ist das Buch mit einer Vielzahl von Quellenhinweisen versehen, die es erleichtern, bei Interesse selbst weiter zu recherchieren.

Antiverschwörungstheoretische Rhetorik

Gegen das ganze Vorhaben, Verschwörungen der Herrschenden aufdecken zu wollen, haben einige Leser:innen jedoch möglicherweise einen grundsätzlichen Einwand: Die Aufgabe radikaler Gesellschaftskritik sei es gerade nicht, die bösartigen Machenschaften mächtiger Gruppen und Einzelpersonen herauszustellen. Wie schon Karl Marx gezeigt habe, zeichne sich der moderne Kapitalismus durch die „apersonale“ Herrschaft gesellschaftlicher Strukturen aus, die sich „hinter dem Rücken der Akteure“ durchsetzten. Auch die Herrschenden seien bloße „Charaktermasken“ des Systems, sie könnten nicht nach freiem Willen handeln, sondern müssten bestimmte Funktionen erfüllen, die ihnen von jenen anonymen Strukturen vorgegeben würden. Wer konkrete Individuen für gesellschaftliche Missstände persönlich verantwortlich mache, betreibe daher eine „verkürzte Kapitalismuskritik“, die eine gefährliche Nähe zu rechtem Denken aufweise, dass ja ebenfalls gesellschaftlichen Gruppen, wie z.B. den Juden, die Schuld an den Übeln der Welt gäbe. Solche „Personalisierungen“ seien daher „strukturell antisemitisch“.

An dieser Sichtweise ist soviel richtig, dass die strukturellen Zwänge der Herrschaft tatsächlich mitgedacht werden müssen, um das Handeln des Herrschaftspersonals richtig zu verstehen. Dies ist z.B. notwendig, um reformistische Illusionen zu entlarven, wie etwa die sozialdemokratische Hoffnung auf eine weniger „korrupte“ und mehr am Allgemeinwohl orientierten Regierung oder die Flausen linker Globalisierungsgegner:innen, die den weltweiten Finanzkapitalismus durch die Einführung einer neuen Steuer bändigen wollen. Jedoch gerät bei der Betonung gesellschaftlicher Strukturen durch einige akademisch geprägte Linke zuweilen ein entscheidender Punkt aus dem Blick: So „anonym“ und „abstrakt“ die Herrschaft im modernen Kapitalismus auch erscheint, es sind niemals „der bürgerliche Staat“ oder „das Wertgesetz“ höchstpersönlich, die uns unterdrücken. Vielmehr brauchen derlei Abstraktionen nach wie vor Manager:innen und Politiker:innen aus Fleisch und Blut, die sich Strategien überlegen, wie sie die Erfordernisse des Kapitals möglichst reibungslos umsetzen können.

Eine Analyse und Kritik eben jener Strategien der Herrschenden haben jedoch große Teile der linken Szene hierzulande – mich selbst eingeschlossen – lange Zeit sträflich vernachlässigt! Es war uns suspekt, wenn „Verschwörungstheoretiker:innen“ Figuren wie Klaus Schwab, Bill Gates oder George Soros als globale Strippenzieher verunglimpft haben, wir hielten solchen einseitigen und karikaturhaften Darstellungen aber keine fundierte eigene Analyse des Wirkens dieser Leute entgegen. Diese Leerstelle führt uns das „Konspirationistische Manifest“ schonungslos vor Augen. Es zeigt uns, dass wir es jahrelang versäumt haben, die Operationen unserer Feinde zu studieren. Ein solches Studium ist aber notwendig, wenn wir in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht nur Zuschauer:innen bleiben wollen.

Letztlich kommt die einseitige Fixierung auf die Analyse gesellschaftlicher Strukturen und die reflexartige Abwehr von „Verschwörungstheorien“ den Herrschenden nicht ungelegen. Diese haben ja ihrerseits ein Interesse daran, für konkrete Grausamkeiten nicht persönlich verantwortlich gemacht zu werden, sondern sich als bloße Ausführende übermächtiger „Sachzwänge“ darstellen zu können. Das „Konspirationistische Manifest“ weist darauf hin, dass die antiverschwörungstheoretische Rhetorik nicht etwa in linker Theoriebildung ihren Ursprung hat, sondern bereits in den 1940er Jahren von dem liberalen und antikommunistischen Philosophen Karl Popper erfunden wurde. In seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ konstatiert er: „Nur wenige soziale Institutionen werden bewusst geplant, während die große Mehrheit einfach als das unbeabsichtigte Resultat menschlicher Handlungen 'gewachsen' ist.“ (2) Die „Verschwörungstheorie der Gesellschaft“ verkenne jedoch diesen Zusammenhang und sehe konkrete Gruppen mächtiger Individuen als Ursache für gesellschaftliche Fehlentwicklungen – „unheilvolle Druckgruppen, deren Bosheit für alle Übel verantwortlich ist, unter denen wir leiden – wie die Weisen von Zion, die Monopolisten, die Kapitalisten oder die Imperialisten.“ (3) Dieser kleine, manipulative Satz enthält Poppers Totalitarismustheorie in Reinform: Indem er die Hetze gegen eine von Antisemit:innen erfundene Verschwörung mit der Kritik an realen Ausbeuter:innen und Unterdrücker:innen gleichsetzt, rückt er linke Kapitalismuskritik in die Nähe faschistischer Ideologie und schirmt so die Bourgeoisie gegen Kritik an ihren Machenschaften ab.

Rezension_Konspirationistisches_Manifest_Bild2 Karl Popper und Friedrich von Hayek

Witzigerweise war eben dieser Karl Popper maßgeblich an einer der erfolgreichsten Verschwörungen des 20. Jahrhunderts beteiligt. 1947, in einer Zeit, als alle den Liberalismus für tot hielten, gründete er zusammen mit Friedrich von Hayek und anderen die Mont Pèlerin Gesellschaft mit dem Ziel, künftige Generationen von wirtschaftsliberalen Ideen zu überzeugen. Durch jahrzehntelanges beharrliches Networking gelang es, die Regierungen von Augusto Pinochet, Margaret Thatcher und Ronald Reagan für ihre Doktrin zu gewinnen und von da aus setzte der Neoliberalismus zum Siegeszug über die Erde an. Kein Wunder, dass Popper daran gelegen war, dass die Leute nicht allzu sehr über Verschwörungen nachdenken!

Verschwörungen der Beherrschten gegen die Herrschenden

Die im „Konspirationistischen Manifest“ dargelegten Untersuchungen über die Strategien der Macht sind keine akademischen Übungen. Sie zielen letztlich darauf ab, unsere eigene Verschwörungen der Unterdrückten gegen die Herrschaft zu fördern und vorzubereiten. Gemäß der obigen Definition bedeutet „sich verschwören“, einen Gemeingeist herauszubilden, welcher zu wirksamem gemeinsamem Handeln ermächtigen. Dass es daran mangelt, spüren wir schmerzlich angesichts der Hilflosigkeit und Ohnmacht, mit der wir den immer neuen Angriffen der Herrschenden gegenüberstehen. Wie aber kann ein solcher Geist entstehen – innerhalb der versprengten Zirkel der Opposition wie auch unter den Massen insgesamt? Bereits in der Einleitung haben die Autor:innen diesbezüglich einen disclaimer gesetzt: „Zu keinem Zeitpunkt erlauben wir uns, darüber zu urteilen, wie man in diesen Zeiten von seiner Freiheit Gebrauch machen sollte. Wir beschränken uns darauf, die lästigen geistigen Fesseln zu sprengen.“ Welche praktischen Schlüsse aus der Lektüre zu ziehen sind, muss jede:r selbst entscheiden.

Ein paar Hinweise gibt es dann aber doch. Zunächst komme alles darauf an, ob es gelingt, die Szenen, Blasen und Kategorien zu überwinden, in denen wir uns gegeneinander abschotten. „Wenn Konspiration bedeutet, einen gemeinsamen Geist zu teilen, dann können wir uns nicht an die Polizeiherrschaft der etablierten Identitäten halten. Deren wasserdichte Trennung ist offensichtlich die wichtigste Technik der Herren der Welt, um die gegnerischen Kräfte zu zerstreuen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. 'Frauen' gegen 'Männer', 'Europäer' gegen 'Muslime', 'Landwirte' gegen 'Stadtbobos', 'Intersektionelle' gegen 'Cis-Geschlechter' Radikale gegen Gemäßigte und warum nicht gleich auch 'Ableisten' gegen 'Disablisten'? – Es wird unermüdlich an der methodischen Zwietracht gearbeitet, damit jeder schön auf seinem Platz bleibt.“ Identitätspolitik und ihr Moralismus seien für eine subversive Verschwörung nur hinderlich, es gelte, sich von ihr frei zu machen.

Rezension_Konspirationistisches_Manifest_Bild3 "Schön wie ein unreiner Aufstand" - bei einer Gelbwesten-Demo entstandene Wandparole, Paris im Herbst 2018

Wenn wir aber die „Schutzräume“ unseres angestammten Milieus hinter uns lassen und uns beispielsweise in eine spontane Massenbewegung hineinbegeben, so laufen wir Gefahr, dort auch auf Leute zu treffen, deren Ideen und Handlungen wir ablehnen oder gar gefährlich finden. Für die Medien und nicht wenige Aktivist:innen ist etwa die Anwesenheit faschistischer Gruppierungen bei solchen Mobilisierungen ein Grund – oder eher ein Vorwand – vor einer Beteiligung zu warnen – so war es bei den französischen „Gelbwesten“, den Demos gegen den Corona-Ausnahmezustand und jetzt wieder bei den beginnenden Protesten gegen die Preissteigerungen. Die Autor:innen des „Konspirationistischen Manifests“ halten nichts von derlei Reinheitsgeboten: „Es gibt keinen Grund, den Kontakt zu scheuen, selbst auf die Gefahr hin, dass er mit Faustschlägen erfolgt und darin besteht, die genannten Gruppierungen in die Flucht zu schlagen.“ Wenn wir uns ins Handgemenge begeben, müssen wir die Möglichkeit handfester Konfrontationen einkalkulieren. Wir können aber auch darauf hoffen, neue Bekanntschaften zu machen und dabei sowohl den eigenen Horizont zu erweitern als auch überraschende Gemeinsamkeiten festzustellen. „Die Freude an der Konspiration ist die Freude an der Begegnung, an der Entdeckung von Brüdern und Schwestern, selbst da, wo man es am wenigsten erwartet hätte.“ – In diesem Sinne: Verschwören wir uns!

Fußnoten

  • (1) Magnus Klaue: „Wir wollen uns rächen. Uns rächen für diese zwei Jahre weißer Folter“, Die Welt, 22.09.2022, https://www.welt.de/kultur/plus241152925/Corona-Manifest-Wir-wollen-uns-raechen-fuer-diese-zwei-Jahre- weisser-Folter.html, Abruf: 05.10.2022.

  • (2) Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, München 1975, Bd. 2, S. 118.

  • (3) Ebd., S. 120.

Alfred Masur

Der Autor lebt in Dortmund und arbeitet im Bildungssektor.

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