Anarchokommunismus

Übersicht

  • Abschaffung der Klassengesellschaft und Errichtung einer sozialistischen Wirtschaft
  • Abschaffung des Staates und Errichtung einer auf Räten basierenden Entscheidungsstruktur → Räte werden von den Arbeiter:innen eines Betriebs oder Bewohner:innen einer Region gewählt, um ihre Interessen (mit einer dauerhaft möglichen Rücknahme des Vertrauens in ihre Repräsentant:innen) vertreten zu sehen
  • Freie und gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und der kreativen und (re-)produktiven Aufgaben → „Alle nach ihren Fähigkeiten, allen nach ihren Bedürfnissen.“ (Weiterer Verweis auf Anarchafeminismus)
  • Föderalismus → Eigenständige Dörfer / Viertel / Städte / Regionen schließen sich mit Räten in immer höheren Ebenen zusammen, um bei erhaltener Selbstbestimmung immer komplexere Entscheidungen zu treffen

Geschichte

Der anarchistische Kommunismus entstand in und aus den Kämpfen der Arbeiter:innenbewegung heraus. Alle seine Theoretiker:innen waren gleichzeitig auch Revolutionär:innen, die innerhalb der Arbeiter:innenbewegung mitgekämpft haben. Als ideologische Strömung des Anarchismus verfestigte sich der Anarchistische Kommunismus im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Sein theoretisches Fundament baute auf den Theorien des Anarchistischen Kollektivismus - stark geprägt durch die Werke Michail Bakunins - auf. Weitere Einflüsse erhielt der Anarchistische Kommunismus durch den revolutionären Marxismus, mit dem er in regem Austausch stand, sowohl praktisch als auch theoretisch. Zentral für die Entwicklung war Pjotr Kropotkin, welcher unter anderem auch für sein Konzept der Gegenseitigen Hilfe berühmt wurde. Neben dem starken Fokus auf die Überwindung der Klassengesellschaft und der Errichtung einer sozialistischen Ökonomie, steht die Gegenseitige Hilfe beispielhaft für die angestrebte solidarische und freie Ökonomie. Schnell entwickelte sich der Anarchistische Kommunismus zur einflussreichsten Strömung des Anarchismus und beeinflusste führende anarchistische Theoretiker:innen, wie Errico Malatesta, Emma Goldmann, Alexander Berkman und Erich Mühsam und noch viel wichtiger die Gedanken der revolutionären Massen in den zwei großen anarchistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts in Europa.

Sowohl in Katalonien (1936-1939) während des spanischen Bürgerkrieges und in den befreiten Gebieten der Süd-Ost-Ukraine (1918-1921) während der russischen Revolution. Hier erfuhr der Anarchistische Kommunismus nach der gescheiterten Revolution durch Nestor Machno und Peter Arschinow eine weitere Entwicklung durch die Weiterentwicklung der Art und Weise wie die Revolutionär:innen sich organisieren sollten. Heute ist der Anarchistische Kommunismus neben dem Anarchafeminismus und dem Anarchosyndikalismus die bedeutendste anarchistische Strömung und in unzähligen weltweiten anarchistischen Gruppen und überregionalen Föderationen vertreten. Diese drei Strömungen sind dennoch geschichtlich als auch aktuell häufig nicht voneinander zu trennen und viele anarchafeministische und anarchosyndikalistische Organisationen vertreten auch den Anarchokommunismus. Auch im deutschsprachigem Raum entwickelt sich der Anarchistische Kommunismus zu einer immer relevanteren revolutionären gesellschaftlichen Kraft, wozu auch anarchismus.de beitragen möchte.

Ausführlicheres Konzept

Abschaffung der Klassengesellschaft

Die kapitalistische Gesellschaft, genauso wie die vorhergegangenen feudalen und aus Sklaverei basierenden Gesellschaften, teilt die Menschen in verschiedene Klassen. Diese Klassen haben keine gemeinsame wirtschaftliche Stellung und damit auch unterschiedliche gesellschaftliche Macht. Der anarchistische Kommunismus legt vor allem Wert auf die Trennung zwischen der Kapitalisten-Klasse - also all jenen, die Eigentum an den Fabriken bzw. Produktionsmitteln, dem Land oder den Wohnungen haben und über unsere Arbeit, unser Leben und unser Wohnen entscheiden - und der lohnabhängigen Klasse - also uns, den Arbeiter:innen, welche ihre Arbeitskraft für einen Lohn verkaufen muss, um über die Runden zu kommen. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Geschichte ist auch die Klassengesellschaft immer komplexer geworden und es gibt nun Arbeiter:innen, welche Shareholder von großen Konzernen sind oder lohnabhängige Manager, welche mehr verdienen als kleine Kapitalisten. Trotz alledem bleibt die Antwort des anarchistischen Kommunismus gleich: Die Klassengesellschaft muss überwunden werden, egal wie diese nun aussieht!

Rätegesellschaft

Im Anarchistischen Kommunismus werden die Entscheidungen über Räte getroffen. Ein Rat ist eine Zusammenkunft von Personen, welche über eine Sache entscheiden, die sie betrifft. Das wäre z.B. die Frage der Bepflanzung der Straßen in unseren Vierteln, die Verteilung von Arbeitsschichten in einem Betrieb oder die Organisation der Renovierung unserer gemeinsamen Häuser. Natürlich gibt es aber auch Fragen, welche etwas komplexer sind. Geht es um komplexe Arbeitsteilung, wie die Produktion einer Straßenbahn, würden die betroffenen Betriebe in der Lieferkette gemeinsame Lösungen finden, indem sie Mandatierte in einen überregionalen Rat schicken. Diese sind im wahrsten Sinne des Wortes "Interessenvertreter" für den Rat, der sie schickt und können jederzeit wieder abgewählt werden, weil sie ein imperatives Mandat haben. Es werden also alle Entscheidungen gemeinsam von allen, die sie betreffen, getroffen!

Föderalismus

Ohne Föderalismus kann der anarchistische Kommunismus nicht funktionieren. Egal ob der vorher abgesprochene Bau einer Straßenbahn oder die faire Verteilung von Gütern: Es braucht komplexe weltweite Vernetzung und Absprache. Diese funktioniert zum einen durch immer höher liegende Räte und zum anderen durch die Unabhängigkeit der tiefer liegenden Räte. Wäre diese Unabhängigkeit nicht gegeben würde es schnell zu Abstreifen von Arbeit auf kleinere Betriebe oder bestimmte Regionen kommen. Um zu sehen, wohin dies führt müssen wir uns nur das Verhältnis von Regionen und Betrieben im Kapitalismus anschauen. Nationalistische Bewegungen, Konkurrenz und Entfremdung von der weltweiten Gemeinschaft wären die Folge. Deswegen ist der Föderalismus im anarchistischen Kommunismus immer achtungsvoll gegenüber seinen kleinsten Teilen und solidarisch besinnt auf das Gemeinwohl aller!

„Alle nach ihren Fähigkeiten, allen nach ihren Bedürfnissen.“

Die gesellschaftlichen Aufgaben, also die Arbeit, werden genauso wie der Reichtum frei und fair unter allen verteilt. Das bedeutet, dass die Güter allen frei zugänglich sind und nach ihren Bedürfnissen konsumiert werden können. Der anarchistische Kommunismus strebt eine Gesellschaft an, in der alle sich ihre Tätigkeiten frei aussuchen und sich kreativ entfalten können. Gleichzeitig sollen diese aber auch durch die Rätestruktur und den Föderalismus organisiert werden, damit an niemandem die gesamte Produktion und Arbeit hängen bleibt. Das gilt natürlich auch für die Reproduktionsarbeit, welche aktuell und historisch vor allem an Frauen hängen bleibt. Wir planen also unsere Produktion und Arbeit nicht mehr nach den Wünschen der Kapitalisten, welche Profit machen möchten und auf dem Rücken jener, welche auf den mageren Lohn angewiesen sind, sondern für das Wohl aller Menschen und der Gemeinschaft!

Wichtige Persönlichkeiten der Idee

Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842-1921)

"Gegenseitige Hilfe ist das Gesetz des Fortschritts."

Kropotkin war vieles: Revolutionär, Naturforscher, Soziologe, Theoretiker. Aber eines noch viel mehr als all dies, er war einer der bedeutendsten Anarchisten des 19. und 20. Jh. und der zentrale Theoretiker des Anarchistischen Kommunismus in dessen Tradition sich auch anarchismus.de sieht.

Als Sohn einer adeligen Familie wuchs er im russischen Kaiserreich in gut behüteten Verhältnissen auf und ließ sich nach einer Erziehung im Pagenkorps nach Sibirien versetzen, um dort den Grundstein seiner natürlichen und soziologischen Forschung zu legen. Dort kam er auch mit den Theorien Proudhons in Kontakt und entschied sich gegen eine erfolgsversprechende Karriere in Wissenschaft und der russischen Oberschicht. In Russland, der Schweiz und Frankreich verfolgt, ausgewiesen und eingekerkert, kämpfte er vor allem im Jura zusammen mit den dortigen Uhrenmacher:innen als Teil der Jura-Föderation. In England schrieb er schließlich einen Großteil seiner Werke und entwickelte sowohl die Theorien der Gegenseitigen Hilfe (Link) als auch des anarchistischen Kommunismus.

Zum Schluss seines Lebens kehrte er nach Russland 1917 zurück und war begeistert von den Entwicklungen der Oktoberrevolution. Nichtsdestotrotz war er großer Kritiker der autoritären Maßnahmen des sich entwickelnden sowjetischen Staates. Er hinterließ uns nicht nur ein umfangreiches theoretisches Werk, sondern auch eine unerschütterliche positive Sicht sowohl auf unsere natürliche Vorgeschichte als auch auf die Möglichkeit einer zukünftigen solidarischen und wirklich menschlichen Gesellschaft!

Errico Malatesta (1853-1932)

"...aber vergessen wir nie, dass wir Anarchisten weder Rächer noch Richter sein können, wir wollen Befreier sein und als solche muss unsere Aktion in Aufklärungsarbeit und beispielhaften Taten bestehen."

Malatesta war eine der bedeutendsten anarchistischen Persönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts und eine Schlüsselfigur im Aufbau des italienischen und südamerikanischen Anarchismus.

In seiner Zeit in Italien baute er mit seinen Genoss:innen aus den vorher in der 1. Internationalen organisierten Gruppen eine anarchistische italienische Landesföderation auf und nahm an zahlreichen Aufständen und Revolten in Städten des italienischen Nordens und Südens teil. Trotz der wachsenden Größe der Föderation und den vielfachen Erhebungen blieb die soziale Revolution aus und es kam zu einem Bruch zwischen dem parlamentarischen (Glossar) Flügel und dem sozialrevolutionären. Diese Entwicklung hin zum Parlamentarismus kritisierte er scharf und trat hier schon wie auch in seinen Kritiken des Syndikalismus (Link zu Anarchosyndikalismus + Glossar?) oder der Propaganda der Tat (Glossar) als wichtiger Theoretiker des Anarchismus auf.

Durch die wachsende Repression des italienischen und der restlichen Staaten musste er immer wieder seinen Wohnort wechseln; von Ägypten in die Schweiz und über Rumänien nach Paris. Er war in Argentinien, floh nach Malta und in die USA und lebte lange in London. Immer gehetzt durch staatliche Verfolgung, Ausweisung und die revolutionäre Arbeit. Auch nach Italien kehrte er mehrmals zurück und gründete unter anderem die von ihm herausgegebene anarchistische Tageszeitung „Umanita Nova“ (mit einer Auflage bis zu 50.000 Exemplaren). Weiterhin war er auch noch zu seinem Lebensabend Verfechter anarchistischer Grundsätze in Debatten, wie seiner konsequent internationalistischen und klassenkämpferischen Position gegen anarchistische Kriegsbefürworter im 1. Weltkrieg. Trotz der Verbote und Überwachung im faschistischen Italien blieb er bis zum Schluss einer der wichtigsten Kritiker und Vertreter der anarchistischen Bewegung.

Nestor Machno

"Die Freiheit eines jeden einzelnen Menschen gebiert eine freie, in ihrer dezentralisierten Ganzheit vollendete, im allgemeinen Ziel zusammengefaßte, regierungslose Gesellschaft. Das ist der anarchistische Kommunismus!"

_Nestor Iwanowitsch Machno (geb. 27. Oktober 1888 in Huljai-Pole, Ukraine; † 6. Juli 1934 in Paris) war ein Bauernsohn aus Huljai-Pole in der Ukraine, der zwischen 1917 und 1921 während des russischen Bürgerkriegs nach der Oktoberrevolution zum Anführer einer anarchistischen Volksbewegung in der Ukraine aufstieg. In seinen Vorstellungen einer freien Gesellschaft war Machno beeinflusst von den Ideen der anarchistischen Theoretiker und Aktivisten Michail Bakunin und Fürst Kropotkin.

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