Anark: Der Staat ist konterrevolutionär - Teil 3: Das maoistische China


Anark
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Deutsche Übersetzung: DreiKaeseHoch, epoillac

Zum Text:

The State is Counter Revolutionary ist ursprünglich ein vierteiliger Video-Essay auf Daniel Baryons YouTube-Kanal „Anark“.

Zusätzlich lud er das Skript dieses Video-Essays in leicht abgewandelter Form auf der Anarchist Library hoch. Dieses Skript dient als Grundlage für die Übersetzung.

Teil 3: Das maoistische China

Genau wie der zweite Teil die revolutionäre Phase der UdSSR diskutiert, ist der dritte Teil dieses Essays ebenfalls eine historische Einordnung, nur widmen wir uns dieses mal den Auswirkungen der chinesischen Revolution unter Mao. China wird in diesem Essay behandelt, weil manche Leser:innen nach der Analyse der Sowjetunion zum Schluss kommen könnten, die Lösung liege vielleicht in einem Staat mit begrenzter Macht; in einem auf einer Ideologie aufbauenden Staat, der die Zerstörung der eigenen Macht anstrebt, sobald das alte System besiegt wurde. Maos China ist deshalb das perfekte Projekt für unsere Analyse. Wie wir sehen werden erhielt der Maoismus zwar den Staatsapparat, jedoch grenzte sich Mao bewusst von der leninistischen und marxistischen Ideologie ab, versuchte mehrmals, den Staatsapparat aufzulösen, hörte auf die Bedenken der Bäuer:innen bezüglich Machtanhäufung und ließ sogar in einigen Schlüsselsituationen die Zügel der Macht locker. Wenn der Staat also eine Institution sein sollte, die unter den richtigen Voraussetzungen ihre eigene Macht zersetzen kann, dann müsste man zum Schluss kommen, dass das maoistische China einen komplett anderen Weg einschlagen würde als die UdSSR. Was wir jedoch in diesem Teil sehen werden ist eine Annäherung Chinas an ähnliche Wirtschaftsverhältnisse, wie sie in Russland existierten, obwohl sich die Wege zu diesem Ziel enorm unterschieden.

Während unserer Analyse möchte ich, dass ihr folgendes Zitat aus Kropotkins „Sind wir gut genug?“ im Hinterkopf behaltet:

Wir laden alle Interessierten herzlich ein, die Geschichte aller großen sozialen Wandel zu studieren, die in der Menschheitsgeschichte stattfanden… Sie werden sehen, dass Geschichte nichts anderes ist als ein Kampf zwischen Herrschenden und Beherrschten, Unterdrücker:innen und Unterdrückten […] (1)

Die revolutionäre Phase

Lasst uns, obwohl die Geschichte der chinesischen Revolution eigentlich erst kurz vor Start des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges gegen Ende der 1930er Jahre beginnt, die Analyse 1921 beginnen. Dem Jahr, in dem sich die Kommunistische Partei Chinas ausgründete, auch wenn sie erst Jahrzehnte später an die Macht kommen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war die Sowjetunion ein geopolitisches Kraftwerk, dessen Einfluss in Nationen überall in der Region zu spüren war, China eingeschlossen. Die UdSSR arbeitete zu dieser Zeit mit der nationalistischen chinesischen Regierungspartei Kuomintang zusammen und half ihr, eine komplett modernisierte Armee für ihre konservative Herrschaft aufzubauen, um so die eigene Vormachtstellung in der Region zu schützen.

Wie sich herausstellte, war dieses Vorgehen jedoch völlig katastrophal. Die Kuomintang hatte nicht die Absicht, Macht an die Kommunist:innen abzutreten, weder innen- noch außenpolitisch. Nachdem die Kuomintang 1927 beispiellose Kontrolle über die meisten Großstädte Chinas bekam, indem sie kommunistische Aufstände ausnutze, richtete sie die modernisierte Armee, die die UdSSR mit aufgebaut hatte, gegen die chinesischen Kommunist:innen. Dieses Ereignis sollte als Shanghai-Massaker in die Geschichte eingehen; eine landesweite Säuberungsaktion gegen städtische Kommunist:innen, die geschätzt dreihunderttausend kommunistischen Parteimitgliedern das Leben kostete und viele weitere hinter Gitter brachte.

Darin können wir die immer wiederkehrende Neigung der Sowjetunion erkennen, sich in die Angelegenheiten ausländischer Kommunist:innen einzumischen, dabei die existierenden liberalen oder nationalistischen Regierungen zu unterstützen und schwerwiegende Kompromisse einzugehen, um Macht in diesen Regierungen zu erlangen, auch wenn diese Kompromisse letztendlich die Zerstörung des Sozialismus in diesem Projekt herbeiführen. Das Shanghai-Massaker war der Grund, weswegen Mao, als er Jahrzehnte später die Bühne betrat, nur noch die Bauernschaft als zu organisierende Bevölkerungsgruppe für die Kommunistische Partei vorfand.

Entgegen der orthodox-marxistischen Auffassung, dass die Bauernschaft kein sozialistisch-revolutionäres Bewusstsein in sich trug, fand die Kommunistische Partei in der chinesischen Bauernschaft fruchtbaren Boden für Radikalisierung und Organisation, da diese stark unter den hohen Steuern der Regierung und der Bandenkriminalität litt. Der Hauptunterschied war, dass im Gegensatz zu Russland, wo die Arbeitenden durch die Doppelmacht der Übergangsregierung und der Sowjets mehr aufbauende Macht bekamen, die chinesische Bauernschaft primär durch die Versprechen der Enteignung der Feudalherrschenden und dem Erlassen von sozialen Angleichungsmaßnahmen motiviert wurde.

Zu diesen einmaligen Voraussetzungen kommt noch dazu, dass Mao im Gegensatz zu vielen anderen Marxist:innen und Leninist:innen vor ihm, tatsächlich etwas anarchistische Theorie gelesen hatte. Er hatte immerhin ausführlich mit einigen der vielen chinesischen Austauschschüler:innen gesprochen, die Frankreich besucht hatten, wo der Anarchismus in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Mode war. In den Interviews mit Edgar Snow sagte er über diese Zeit (2):

Ich habe einige Pamphlete über Anarchie gelesen, die mich stark geprägt haben. Mit einem Mitschüler [...], der mich zu besuchen pflegte, habe ich oft über den Anarchismus und seine Chancen in China diskutiert. Zu dieser Zeit befürwortete ich viele anarchistische Vorschläge. (3)

Im Werk „Die chinesische Anarchistische Bewegung“ wird dies von Scalpino und Yu elaboriert. Sie schreiben dazu:

Maos Interesse am Anarchismus war keineswegs einzigartig. Ganz im Gegenteil: es zeichnet ihn als einen Teil der wichtigsten radikalen Strömung dieser Zeit aus. Der Anarchismus war dem Marxismus als dominante radikale Ausprägung der westlichen Ideenlehren in Nordostasien voraus. Zwischen 1905 und 1920 war anarchistisches Denken ein entscheidender Teil der intellektuellen Protestbewegung sowohl in China als auch in Japan. Tatsächlich hielt der Anarchismus den begehrten Titel der progressivsten, wissenschaftlichsten und modernsten Ideenlehre aller politischen Überzeugungen. (4)

Allerdings soll das keineswegs nahelegen, dass der Maoismus als Teil der anarchistischen Tradition angesehen werden sollte. Ganz im Gegenteil: Maos leninistischen und stalinistischen Einflüsse überschrieben diese frühen Lektionen größtenteils. Trotzdem kontextualisiert es das Kommende. Diese einzigartige Mischung ideologischer Grundlagen bildet das Fundament einer neuen Form der staatssozialistischen Praxis und damit einhergehend einen neuen Zweig marxistischer Theorie.

Der zweite Japanisch-Chinesische Krieg

Im Jahre 1937 startete Japan die Invasion des chinesischen Festlandes und begann damit den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg. Vor der Invasion hatte China relative Stabilität erlangt, verglichen mit den Jahren davor. Angesichts der Invasion musste die Kuomintang zur Finanzierung des Konflikts jedoch massenhaft Geld drucken, was eine fürchterliche Inflation hervorrief und damit einhergehend zu Hunger und Massenarbeitslosigkeit führte. Die Lage verschlechterte sich zusätzlich, da das imperialistische Japan auf seinen Raubzügen durchs Land große Teile der chinesischen Infrastruktur komplett zerstörte.

Unter japanischer Kontrolle führten die chinesischen Arbeitenden zahlreiche Streikwellen an. Auch wenn diese bis zu einem gewissen Grad von untergetauchten Stadt-Kommunist:innen organisiert wurden, waren sie größtenteils selbstständige Aktionen der chinesischen Arbeitenden. Allein im Jahr 1947 waren mehr als drei Millionen Arbeitende an den Streiks beteiligt; eine Organisationsaufgabe, der die durch das Shanghai-Massaker stark dezimierten Kommunist:innen allein nicht gewachsen waren.

Die japanische Besatzung in China wurde beendet, als 1945 sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion intervenierten. Die UdSSR unterstütze die Kuomintang dabei, ihr Territorium zurückzuerobern, plünderte dabei jedoch große Teile der Mandschurei, um die eigene Wirtschaft zu unterstützen und luden dazu viele moderne Industrieanlagen auf Züge und schickten sie gen Westen. Obwohl die Kuomintang nach der der Vertreibung der japanischen Besatzung die Kontrolle über die Nation zurückbekam, war es ihr nicht möglich, das System an komplizierten und stark von Techniker:innen abhängigen industriellen Strukturen, das die japanischen Imperialisten errichtet hatten, zu managen.

Unter diese Bedingungen organisierte die Kommunistische Partei Chinas in den folgenden Jahren die Bauernschaft und in geringerem Maße auch die städtischen Arbeitenden, um einen neuen Bürgerkrieg gegen die Kuomintang zu führen. Obwohl die Kommunist:innen in diesem Konflikt enorme Verluste erlitten, brachten sie immer größere Gebiete des chinesischen Festlands unter ihre Kontrolle und führten ein hochgradig inhomogenes Wirtschaftsprogramm ein, was in weiten Teilen den unterschiedlichen Industrialisierungsgraden der Regionen geschuldet war, aber auch an der Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten der ausgebildeten Kader und den neuen Anforderungen des Wirtschaftsmanagements lag. Aus diesem Grund besetzten die Kader das bestehende Bandensystem mit führenden Köpfen der revolutionären städtischen Kommunist:innen neu, besonders in Gebieten wie der Mandschurei. In anderen Regionen wiederum wurden einige Betriebe von den Arbeitenden selbst geführt, sogar während der Beschlagnahmung durch den Staat, allerdings war das keinesfalls die Regel. Gleichzeitig nahm die Verstaatlichung jedoch zu. Noch bevor der Krieg zu Ende war stellt „Hirse und Stahl“ fest, dass der neue, von der Kommunistischen Partei gesteuerte Staatssektor:

58% der elektrischen Energieressourcen des Landes besaß, 68% der Kohle-, 92% der Roheisen-, 97% der Stahl-, 68% der Zement- und 53% der Baumwollgarnproduktion. Außerdem kontrollierte sie alle Eisenbahnen, die meisten modernen Kommunikationswege und Transportmittel sowie den größten Teil des Bankgeschäfts und des Binnen- und Außenhandels. […] Doch obwohl diese Unternehmen unter staatlichem Monopol standen, waren sie immer noch der kapitalistischen Notwendigkeit der Wertakkumulation unterworfen und wurden daher als 'staatskapitalistisch' und nicht als 'sozialistisch' verstanden. (5)

Im Gegensatz zur UdSSR gab die maoistische Regierung offen zu, dass es sich hierbei um staatskapitalistische Eigentumsverhältnisse handle und dass es einer „nationalen Einheitsfront“ bedürfe, in der das Proletariat mit der Klein- und Nationalbourgeoisie kooperiere. Mao sagt klar und deutlich, dass China:

alle Faktoren des Kapitalismus in Stadt und Land ausnutzen [muss], die der Volkswirtschaft und der Lebenshaltung des Volkes Nutzen bringen und nicht Schaden zufügen [...]. Unsere gegenwärtige Politik besteht darin, den Kapitalismus zu regulieren, aber nicht, ihn zu liquidieren. (6)

Dieser neue Staat sei laut Maos Argumentation jedoch keine bürgerliche Republik, da er „unter Führung der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei“ stehe. Mit anderen Worten: genauso wie es Trotzki viele Jahre zuvor in seiner Kritik an Lenin beschrieben hatte, praktizierte auch der maoistische Staat den Substitutionismus: Eine Art metaphysische Transformation, bei der der Staat als „Arbeiterstaat“ bezeichnet wird, da er von ideologischen Kommunist:innen geführt wird, die behaupten, im Interesse der Arbeitenden zu handeln.

In dieser Zeit war das Hauptziel der Kommunistischen Partei, die wirtschaftliche Organisation zu normalisieren und die Produktion in den Städten wieder auf das frühere Niveau anzuheben, sowie auf dem Land das Versprechen einzulösen, die Grundbesitzer:innen zu enteignen und das Land der Bevölkerung zurückzugeben. Allerdings waren die ländlichen Regionen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Fokus der Partei. Mao verkündet 1949, dass „sich der Schwerpunkt der Parteiarbeit vom Dorf auf die Stadt verlagert hat.“ (7)

Auch wenn ein Produktivitätsprogramm angesichts der Verwüstung durch viele Jahre Krieg definitiv notwendig war, bildete die Entscheidung zur Klassenzusammenarbeit die Basis für die Wiederherstellung vieler früherer Systeme. In vielen Regionen nutzte die ehemalige Bourgeoisie ihr technisches Wissen und die Fähigkeit, ausländische Kredite zu bekommen, zu ihrem Vorteil, um so die Kontrolle über die Produktionsprozesse zu behalten. Und das war kein Fehler. Dieses Arrangement war das erklärte Ziel dessen, was im „Gemeinsamen Programm“ 1949 als „Koexistenzpolitik“ beschrieben wurde.

„Hirse und Stahl“ fasst es folgendermaßen zusammen:

[Die Koexistenzpolitik] zielte darauf ab, die „bürgerliche Revolution“ in den Städten zu vollenden, indem sie diejenigen Elemente des Kapitalismus nutze, „die für die Volkswirtschaft nützlich und nicht schädlich sind“. Mit anderen Worten: „den Kapitalismus zu regulieren, nicht zu liquidieren“. Dies bedeutete praktisch die Beschwichtigung der verbleibenden städtischen Kapitalist:innen, die vom Staat schrittweise aus ihren eigenen Industrien herausgekauft wurden, wenn sie im Gegenzug ihr technisches Know-How für das Projekt des industriellen Wiederaufbaus und der Entwicklung zur Verfügung stellten. (5)

Nur ein Jahr später unterzeichnete China den „Chinesisch-Sowjetischen Vertrag über Freundschaft, Bündnis und gegenseitige Hilfe“, der formale Beziehungen zwischen der UdSSR und China herstellte und den Zuzug sowjetischer Techniker:innen ermöglichte. Diese Techniker:innen, die für das Management der staatskapitalistischen Wirtschaft der Sowjetunion ausgebildet waren, spielten eine wesentliche Rolle darin, die chinesische Wirtschaft auf ähnliche Weise zu gestalten und bildeten dabei eine konstante Gegenmacht gegen die chinesischen Experimentierversuche der nächsten Jahre.

Das Ergebnis dessen war laut Chuang, dass

… die Größe des Privatsektors [] in dieser Zeit beträchtlich [war]. Obwohl er nur 55,8 % des Bruttoproduktionswerts der gesamten Industrie ausmachte, machte die private Produktion etwa 85 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes aus und war damit von zentraler Bedeutung für den Warenkreislauf. (5)

Diese Phase reproduzierte, obwohl sie aufgrund der gerade einsetzenden Verstaatlichungswelle nur vorübergehend war, gefährliche Aspekte vergangener Wirtschaftsmuster. Der Staat, der sowieso bereits stark auf das Getreide vom Land angewiesen war, erließ eine Getreidenorm, die die Weiterleitung der Ernten vom Land in die Städte vereinheitlichen sollte. Dies führte zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Stadt und Land, deren Beseitigung während der Revolution eigentlich so wichtig war.

Da in den Hafenstädten das Bandensystem noch größtenteils intakt war, die Wirtschaft stark von sowjetischen und ehemals bürgerlichen Techniker:innen abhing und die Ausbeutung der ländlichen Getreideproduktion aufrechterhalten wurde, schuf die Kommunistische Partei Chinas in nur kurzer Zeit ein System, dass dem alten stark ähnelte. Die Arbeitenden waren wütend, dass die postrevolutionäre Wirtschaft der Wirtschaft, für deren Beseitigung sie so hart gekämpft hatten, so sehr glich. Streiks wurden wieder zur Regel, sodass viele Privateigentümer:innen ihre Fabriken schlossen, Arbeitende feuerten und planten, ihre Unternehmen zu veräußern und auszuwandern, anstatt sich den wirtschaftlichen Herausforderungen zu stellen.

Die Kommunistische Partei zwang die Firmeneigentümer:innen jedoch, die Löhne und Lebensstandards für die Arbeitenden in den Städten zu erhöhen. Auch stieß die Partei die Gründung von Gewerkschaften in den Städten an und richtete eine nationale Arbeitsbehörde ein, in der Hoffnung, dass diese Einrichtungen zwischen den Bedürfnissen der Arbeitenden und denen der Bourgeoisie vermitteln würden. Die Arbeitenden wollten allerdings nicht nur bessere Löhne und Lebensbedingungen oder Strukturen zur Vermittlung mit den Unternehmer:innen. Sie wollten Sozialismus, insbesondere das Ende des Bandensystems und des Privateigentums. Da die Löhne schnell eine neue Obergrenze erreichten, wurden die Gewerkschaften nun vielmehr zu Fabrikkomitees, die die Arbeiterbewegung förderten. In den Augen der Partei bestand die reale Gefahr, dass sie die Wirtschaft an sich reißen könnten.

Aus diesem Grund setzte die Kommunistische Partei 1952 eine Reihe an Maßnahmen um, die sogenannte Fünf-Anti-Kampagne. Diese zielte angeblich darauf ab, die Unterwanderung der Wirtschaft durch die Machthabenden des alten Systems endgültig zu beenden, diente jedoch letztendlich zur Unterdrückung der Streikwellen. Diese Art und Weise des Staates, auf die Streiks zu antworten, wurde in den folgenden Jahren mehrfach wiederholt. Indem einzelne Personen(gruppen) beschuldigt wurden, sich nicht ausreichend der ideologischen Orthodoxie des Systems hingegeben zu haben, wurde Dissens unterdrückt und so Systemkritik vermieden. Aus diesem Grund war die Lösung des Staates für die Streiks nicht gegen das System an sich gerichtet. Anstatt den Arbeitenden die Kontrolle über die Produktionsmittel zu geben, stachelte der Staat die Arbeitenden stattdessen zu ausführlichen Denunziationen gegen die kapitalistischen Unternehmer:innen an.

Die Partei nutzte die Situation ebenfalls als Möglichkeit, über 1,7 Milliarden Dollar an Strafzahlungen von Privatunternehmen für die Teilnahme an „verschiedenen illegalen Transaktionen“, wie die Partei sie nannten, einzunehmen. Das, genauso wie viele andere Denunziationskampagnen, schuf einen fügsamen Privatsektor, der nun zur Übernahme durch die Kommunistische Partei bereitstand. „Hirse und Stahl“ meint dazu folgendes:

Zwar gelang es diesen Kampagnen, die Arbeitenden von einer direkten Machtübernahme abzuhalten und gleichzeitig den Einfluss des Privatkapitals zurückzudrängen, doch führten sie zu einem Produktionsrückgang, da die Arbeitenden und Gewerkschaftskader ständig zu Angriffen gegen ihre Chef:innen mobilisiert wurden und den Unternehmen landesweit das Betriebskapital entzogen wurde. Die Fünf-Anti-Kampagne führte auf ihrem Höhepunkt dazu, dass „eine Reihe von Unternehmen ihren Betrieb einstellten und die Produktion in vielen anderen beeinträchtigt wurde“, während sie gleichzeitig einen für die Partei gefährlichen Präzedenzfall schuf, indem sie den Arbeitenden Macht über ihre Manager:innen und Unternehmenseigentümer:innen gab. Aus Angst vor wirtschaftlicher Stagnation und erneuten Forderungen nach einer Übernahme von Unternehmen durch die Arbeitenden, begann die Partei schließlich, die Reformbewegung rückgängig zu machen. (5)

Stephen Andors schrieb in „Chinas industrielle Revolution: Politik, Planung und Verwaltung von 1949 bis heute“, dass infolge der Nachahmung des sowjetischen Projekts der Klassenzusammenarbeit

… 1953 etwa 80 Prozent der Führungskräfte bürgerlicher Herkunft waren, davon 37 Prozent Hochschulabsolvent:innen aus der Zeit vor 1949, zurückgekehrte chinesische Studierende aus Übersee oder Fabrikbesitzer:innen. [...] 1953 bestanden nur etwa 20 Prozent des Führungs- und Fachpersonals aus städtischen kommunistischen Parteimitgliedern, beförderten Arbeitenden oder Direktor:innen und Gewerkschaftsfunktionär:innen, die direkt von der Partei ernannt wurden. (8)

Der erste Fünf-Jahres-Plan

Im Jahre 1951, als er den Trend in Richtung Verstaatlichung und Zentralverwaltung erkannte, sagte der hochrangige Parteifunktionär Gao Gang bekanntermaßen:

Wir sind nicht Gott und wir können keinen perfekten Plan ausarbeiten. (5)

Wie ironisch, dass sich Gao Gang selbst an die Arbeit machte, einen solchen „perfekten Plan“ – den ersten chinesischen Fünf-Jahres-Plan – zu entwerfen und dabei einige der frühen tayloristischen Quotenvorgaben und Produktionsziele nach dem Vorbild der UdSSR entwickelte. Auch wenn zu Beginn dieser Ära verschiedene Formen der Arbeitendenkontrolle toleriert wurden, wurde im Fünf-Jahres-Plan die staatliche Zentralisierung und der Taylorismus sowjetischer Machart stark favorisiert. Insgesamt war die Umsetzung uneinheitlich und Arbeitendenrevolten schädigten die neu geschaffenen Institutionen. Allerdings gewann das sowjetische Modell mit seinem Fokus auf Zentralverwaltung und Investitionen in die Schwerindustrie schließlich die Überhand. In seinem Buch „Maos China und danach“ diskutiert Maurice Meisner die Effekte dieses industriellen Umbaus:

Die Entscheidung, das sowjetische Modell der Industrialisierung zu übernehmen, erforderte auch Formen der politischen Organisation und der staatlichen Verwaltung nach sowjetischem Vorbild. Die zentralisierte Wirtschaftsplanung erforderte die Bürokratisierung und Routinisierung von Staat und Gesellschaft. [...] die Parteikader wurden zu Verwalter:innen und bürokratische Funktionär:innen; die Arbeitenden in den Fabriken wurden einer zunehmenden Kontrolle durch die Fabrikmanager:innen unterworfen; das revolutionäre Ideal der:des „Guerilla“-Generalist:in wurde durch einen neu entdeckten Glauben an die Spezialisierung und die:den technologische:n Spezialist:in abgelöst; alte egalitäre Ideale kollidierten mit einer neuen Hierarchie und neuen Mustern sozialer Ungleichheit; der revolutionäre Glaube an die Wirkmächtigkeit der Massen schwand, als die Industrialisierung autoritäre Disziplin, gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Rationalität forderte; die sozialistischen Ziele wurden zugunsten des unmittelbaren und allumfassenden Ziels der wirtschaftlichen Entwicklung aufgeschoben und teilweise ritualisiert. Die Tendenz, dass die Revolutionär:innen zu bürokratischen Herrschenden verkamen, hatte 1949 begonnen, beschleunigte sich nun aber erheblich. (9)

Gao Gangs Aufstieg in der Partei hielt jedoch nicht lange an. 1954 begannen die ersten parteiinternen Säuberungen, in denen Gao Gang zusammen mit anderen beschuldigt wurde, gegen den Staat putschen zu wollen. Letztendlich beging Gao Suizid, die Nachricht darüber wurde allerdings ein ganzes Jahr geheim gehalten. In „Hirse und Stahl“ steht zu den Folgen seiner politischen Arbeit:

Der Anteil der staatlichen Aufträge an der gesamten privaten Industrieproduktion stieg von nur 12% im Jahr 1949 auf 82% im Jahr 1955. Um die Gegenreaktionen der ehemaligen Eigentümer:innen dieser Unternehmen abzumildern, erklärte sich der Staat bereit, sie zu einem festen Zinssatz aus den künftigen Einnahmen zu entschädigen. (5)

Der erste Fünf-Jahres-Plan rief zwar ein starkes Wirtschaftswachstum hervor, die Mitglieder der neuen Gesellschaft – Arbeitende genauso wie viele Parteirevolutionär:innen – wurden jedoch zunehmend von der Entwicklung desillusioniert. Die allgemeinen Lohnerhöhungen während dieser Zeit waren sehr ungleichen Ausmaßes und gingen mit komplizierten Stückwerksystemen und Anreizstrukturen einher. Meisner schreibt dazu:

Genau wie in der Sowjetunion wurde das allmähliche Verschwinden der alten, wirtschaftlich verankerten Herrscherklasse durch das Aufkommen einer neuen, politisch verankerten Herrscherklasse begleitet, obgleich diese noch in den Kinderschuhen steckte und ihre Mitglieder sich als Diener:innen des Volkes verstanden. (9)

Das rief jedoch Spannungen hervor:

Die alten Kader entstammten einem revolutionären Milieu und verbreiteten die Werte einer spartanischen und egalitären Lebens- und Arbeitsweise. In den frühen Jahren der Volksrepublik wurden sie in einer relativ egalitären Weise behandelt. Die Regierung stellte Wohnraum und Nahrung zur Verfügung und ließ einen kleinen finanziellen Spielraum für die anderen Grundbedürfnisse. Im Jahre 1955 waren diese Kader allerdings in 26 unterschiedliche Ränge mit jeweils unterschiedlichen Monatslöhnen zwischen 30 und 560 Yuan […] unterteilt… (9)

Der Volksrepublik China widerfuhren viele der exakt gleichen Probleme, die auch die UdSSR hatte, als sie diesen Prozess durchlief. Meisner fährt fort:

Für die Arbeitenden bedeutete das Streben des Staates nach Industrialisierung die Unterwerfung in einen immer strenger werdenden Kodex der Arbeitsdisziplin sowie steigende Lohn- und Statusunterschiede innerhalb des Rängesystems. Die erfahreneren Arbeitenden wurden zu Fabrikgruppenleiter:innen oder Vorarbeitenden ernannt und übten somit Autorität über ihre Arbeitskolleg:innen aus. […] Vor dem ersten Fünf-Jahres-Plan hatten sich die Gewerkschaften in ihrer Rolle als Repräsentant:innen der Arbeitenden zumindest eine gewisse Unabhängigkeit erstritten, diese verschwand jedoch Mitte der 1950er-Jahre, als die Gewerkschaften zunehmend Instrumente des Staates zur Maximierung der Produktivität der Arbeitenden wurden. (9)

Im Frühling 1957 erreichte die Unzufriedenheit ein so hohes Niveau, dass daraus Streiks noch nie dagewesenen Ausmaßes resultierten. Elizabeth Perry schreibt dazu in ihrer Veröffentlichung „Shanghais Streikwelle von 1957“:

In 587 Unternehmen in Shanghai brachen Arbeiteraufstände aus […] an denen fast 30000 Arbeitende teilnahmen. In mehr als 200 Fällen wurde die Fabrikarbeit niedergelegt, während rund 100 weitere Betriebe organisiert ihre Arbeit verlangsamten. (1)

Die Arbeitenden waren wütend. Tatsächlich waren sie so stark auf Konfrontation aus, dass sie ihren Kampf mit den ungarischen Rebellionen verglichen und „Lasst uns einen weiteren ungarischen Zwischenfall erschaffen!“ skandierten. Sie sagten, dass der Konflikt „vom Stadtteil zur Stadt zur Partei zur Kommunistischen Internationalen“ voranschreiten würde. Die Arbeitenden bauten aufständische Organisationen auf, verteilten Flugblätter auf der Straße, um ihre Forderungen zu propagieren und gründeten autonome Gewerkschaften. Geheimgesellschaften, wie es sie schon vor dem letzten Umsturz gab, keimten auf. Es fand eine richtiggehende Planung des nächsten Aufstands statt.

Die Hundert-Blumen-Kampagne

Aus Angst vor dem, zu was diese Aufstände führen könnten und angesichts des Widerstandes gegen sowjetische Interventionen in Osteuropa regte die Kommunistische Partei Chinas 1956 eine harsche Kritikkampagne gegen sich selbst an, die die Hundert-Blumen-Kampagne oder Hundert-Blumen-Bewegung genannt wird. Der Name entstammt einem Gedicht, in dem eine Zeile lautet:

Lasst hundert Blumen blühen; lasst hundert Denkschulen gegeneinander antreten. (9)

Die verschiedenen Darstellungen der Hundert-Blumen-Kampagne unterscheiden sich ziemlich stark darin, ob diese aufgrund des guten Willens der Partei ausgeführt wurde oder eine gezielte List war, um einen destruktiven Dissens zu fördern. Klar ist jedoch, dass die Hundert-Blumen-Kampagne durch die Hoffnung motiviert war, so die gesellschaftlichen Spannungen und Widersprüche, die durch die staatskapitalistischen Reformen entstanden waren, abzubauen. Allerdings passierte nichts von alledem. Stattdessen brach eine Sintflut der Kritik über die Partei und ihren bürokratischen Apparat herein, die sie des Verrats der sozialistischen Prinzipien und bezichtigte und ihnen vorwarf, dass der Staat zu einer neuen herrschenden Klasse werde. Einer der Köpfe der Demokratischen Partei der Bauern und Arbeiter Chinas sagte bekanntermaßen:

Während der Durchführung der Revolution stand die [Kommunistische] Partei in ihrer Rolle als Führerin der Massen inmitten der Massen; nach der Befreiung hatte sie das Gefühl, dass sich die Lage geändert habe. Statt weiterhin inmitten der Massen zu stehen, stand sie nun auf ihren Rücken und beherrschte sie. (9)

Ein weiter ehemaliger kommunistischer Revolutionär wiederholte diese Ansicht sinngemäß in einem ausführlichen Brief an Mao und das Zentralkomitee:

Es existiert eine privilegierte Klasse. Auch wenn diese Klasse noch nicht landesweit besteht, wächst der Embryo dieser Klasse immer weiter heran. (9)

Selbst Mao stimmte diesem zentralen Kritikpunkt zu. Er ging sogar so weit, dass er diese bürokratische Klasse innerhalb der Kommunistischen Partei ausmachte:

In letzter Zeit hat sich bei weiten Teilen unseres Parteipersonals gefährliche Tendenzen gezeigt – die mangelnde Bereitschaft, die Freuden und Nöte der Massen zu teilen und die Sorge um die eigene Position und den eigenen Vorteil. (9)

Trotz der scheinbaren Zustimmung begann die Partei, die Hundert-Blumen-Bewegung zu unterdrücken, indem sie die sogenannte Anti-Rechts-Kampagne ins Leben rief. In dieser Kampagne verurteilte die Partei viele der an der Hundert-Blumen-Bewegung beteiligten Menschen willkürlich als „Rechte“ oder „schlechte Elemente“. Intellektuelle und Studierende wurden in die Gruppe der „Rechten“ gesteckt und bekamen teils die Möglichkeit, sich öffentlich von ihren Ansichten und Forderungen loszusagen, während Arbeitende in die Gruppe der „schlechten Elemente“ gesteckt und damit mehr oder weniger als normale Kriminelle behandelt wurden. Arbeitende und Gewerkschaftsvertreter:innen, die an den Streiks beteiligt waren und die anti-bürokratische Kritik unterstützt hatten, wurden oft eingesperrt, in Arbeitslager geschickt oder sogar hingerichtet. In „Hirse und Stahl“ steht dazu:

Als sich hochrangige Funktionär:innen des Gesamtchinesischen Gewerkschaftsbundes (GCGB) [...] hinter die Arbeitenden stellten und sogar so weit gingen, für unabhängige Gewerkschaften einzutreten, führte dies zu Verleumdungen, Entlassungen und einer allgemeinen Säuberung des GCGB. (5)

Letztendlich gelang es der regimekritische Arbeiterbewegung aufgrund der erfolgreichen staatlichen Repression nicht, einen Generalstreik zu organisieren, sodass die Hundert-Blumen-Bewegung vernichtet wurde. Während sich andere Regierungen vermutlich angesichts einer solchen verheerenden Katastrophe davor hüten würden, weiter herum zu experimentieren, widmeten sich die chinesischen Kommunist:innen der Umsetzung eines der wohl ambitioniertesten Projekte der Menschheitsgeschichte: dem Großen Sprung nach vorn.

Der Große Sprung nach vorn

Um nachvollziehen zu können, warum die Kommunistische Partei Chinas während dieses Zeitabschnitts ihren Fokus wieder auf die ländlichen Regionen legte, müssen wir zunächst die Dynamiken auf dem postrevolutionären Land sowie Maos Ansichten dazu verstehen. Er entfernte sich zusehends von Marx, der die Ansicht vertrat, dass nur die industrielle Arbeiterklasse ein wirklich revolutionäres Bewusstsein entwickeln könne. Stattdessen glaubte Mao, dass die Bauernschaft die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse noch nicht verinnerlicht habe und deswegen am ehesten ihren Bedingungen entkommen wolle. Die Bauernschaft sei die revolutionärste Klasse, nicht das Proletariat.

Die Projekte, die auf dem Land durchgeführt wurden, erfüllten zwar den Wunsch der Bäuer:innen von vor der Revolution, Grund und Boden zu vergesellschaften, sie konzentrierten jedoch auch den Reichtum in den Händen vieler kleiner Eigentümer:innen. Es wuchs die Angst, dass hier eine neue Kapitalistenklasse heranwachse, da nun das Land und die für die Bedürfnisse der wachsenden chinesischen Wirtschaft essenzielle Getreideproduktion von diesen Eigentümer:innen kontrolliert wurde. Die Aufgabe, das Land von diesen reichen Bäuer:innen zu beschlagnahmen und unter den weniger wohlhabenden zu verteilen, wurde etwa seit 1955 aufgeschoben. Nun wurde sie jedoch mit brutaler Schnelligkeit durchgezogen.

In weniger als einem Jahr wurde die gesamte chinesische Bauernschaft in Kollektive gezwungen. Wie zu erwarten lief dieser Umbau nicht ohne Widerstand der Betroffenen ab. Neben der generellen Unruhe gab es 1957 in vielen ländlichen Regionen Aufstände, die sogar teilweise die Genossenschaften gewaltsam zerschlugen, in die sie gezwungen worden waren.

Während die Kommunistische Partei die Hundert-Blumen-Bewegung in den Städten über die Anti-Rechts-Kampagne unterdrückt hatte, brauchte es für die ländlichen Gebiete ein komplett anderes Vorgehen. Auch der Staat vor der Revolution war es aus Sicht der Bauernschaft schon wert gewesen, ihn zu stürzen. Dieser war jedoch in den ländlichen Regionen noch wesentlich weniger einflussreich als der neue, da er der Bauernschaft Platz für eine autarke Lebensweise weit weg von der herrschenden Klasse bot. Aus diesem Grund waren die Bäuer:innen nicht wirklich von den staatlichen Versprechen des Sozialismus motiviert; sie waren in ihrem Wunsch nach geringerem staatlichem Einfluss auf ihr Leben sogar ziemlich anarchisch.

Angesichts all dieser Faktoren und durch eine der kühnsten Entscheidungen des gesamten chinesischen revolutionären Projekts entschied Mao, eine Menge Parteifunktionär:innen und städtische Intellektuelle aufs Land zu senden und zu fordern, dass diese auf den Feldern gemeinsam mit den Bäuer:innen arbeiten sollten. Das führte zu einer Zersetzung weiter Teile des bürokratischen Apparats der Partei, konzentrierte aber dabei die Macht noch mehr in den Händen Maos und seines inneren Zirkels, da die Anzahl der Mächtigen in der Partei und damit der interne Wettbewerb um die Macht sank. Der Staat behielt während dieser Zeit natürlich die absolute Kontrolle, nur waren nun weniger Bürokrat:innen in die Entwicklung und Verwaltung dieser Kontrolle eingebunden.

Währenddessen fluteten die Bürokrat:innen die ländlichen Regionen und den Bäuer:innen wurde durch offizielle Bekanntmachungen aufgetragen, eine Reihe wirtschaftlicher Experimente durchzuführen, die sie vollkommen frei gestalten dürften. Die Realität sah dann allerdings anders aus: der Staat suchte sich aus der großen Auswahl diejenigen Projekte aus, die dem Staat am meisten nützten und sich selbst gleichzeitig am besten aufrecht erhielten. Dieses System wurde Kommunenmodell genannt.

Im Rahmen des Kommunenmodells wurde jegliches Eigentum mehrerer tausend Haushalte vergemeinschaftet. Alle Tätigkeiten, Ackerbau, Zubereitung von Nahrung und so weiter wurden in großen kommunalen Einrichtungen ausgeführt. Demokratisch verwaltet wurde die Arbeit jedoch nicht von den Arbeitenden selbst. Stattdessen wurde die Verwaltung im Kommunenmodell von aus dem zentralen Parteiapparat verbannten Bürokrat:innen übernommen, die den gesamten Arbeitsablauf der Bäuer:innen festlegten. Sie entschieden, welche Felder die Bäuer:innen bestellten und legten die Arbeitszeiten und Produktionsrate fest. Auf diesem Wege wurde zwar das Eigentum vergemeinschaftet, die Kontrolle wurde jedoch in die Hände tausender Kleindiktator:innen gelegt. Dadurch hatten die Arbeitenden nun noch weniger Kontrolle über ihre Arbeit als sie in den vorausgegangenen Jahren des Kleinbauerntums gehabt hatten, an das sie sich gewöhnt hatten.

Sogar Mah-Ki, ein Schriftsteller, der der Politik dieser Zeit durchaus zugeneigt war, schreibt in seinem Werk „Die Volkskommunen“ folgendes dazu:

Die Kommunenbewegung als Ganzes war größtenteils verpflichtenden Charakters. Die Kommunistische Partei Chinas stimmte zwar auf dem Papier dem Grundsatz der freiwilligen Zustimmung der Bauernschaft zu, sie hielt sich nur letztendlich nicht daran. Die Volkskommunen begannen als Experiment im April 1958; die Dokumente, die sich mit ihrer Organisation befassten, wurden im August des selben Jahres veröffentlicht. In den folgenden zwei Monaten wurden dann 99% der ländlichen Bevölkerung in den Kommunen organisiert. In dieser kurzen Zeit konnte die Überlegenheit des Kommunenmodells im Bezug auf eine Verbesserung der Produktionskapazität und des Lebensstandards der Menschen jedoch nicht hinreichend bewiesen werden. Ebenfalls mangelte es an der Zeit, eine sinnvolle Diskussion innerhalb der Massen über die Herangehensweise an die Kommunen zu führen… In dieser vorschnell organisierten Bewegung wurde schlichtweg alles per Dekret entschieden. (11)

In diesen neuen diktatorischen Kommunen wurden die Arbeitenden unter stark reglementierten und militärischen Standards zusammengepfercht. Maurice Meisner fasst in „Maos China und danach“ zusammen:

„Unsere Revolutionen sind wie Schlachten“, hatte Mao im Januar 1958 verkündet. Und bereits im Juli wurde die Bauernschaft in den Kommunen in Bataillonen organisiert, die begleitet von Militärmusik zur Arbeit auf die Felder hinausmarschierten. Die Leitsätze dieser Zeit hielten die Massen dazu an, nicht nur zu kollektivieren, sondern auch zu „militarisieren“ und zu „diziplinisieren“. Auch wenn die Militarisierung der Arbeit ideologisch durch den marxistischen Verweis auf die Kommune als eine Gemeinschaft unter der Herrschaft der bewaffneten Massen gerechtfertigt wurde, war das Hauptziel der Kommunen die Steigerung der Produktivität. Das schlussendliche Ergebnis war jedoch die physische Erschöpfung der Bäuer:innen, die sich unglaublich hohen körperlichen Strapazen unterziehen mussten und unter einer zunehmend unrealistischen Verlängerung ihres Arbeitstages litten. (9)

Tatsächlich zwangen die Parteikader die Arbeitenden zu elf oder zwölf Stunden Arbeit am Tag. Solche Vorgaben wurden natürlich nicht ohne Beschwerden hingenommen. In der Provinz Honan beispielsweise berichtet der erste Sekretär der Partei P’an Fu-Sheng:

„Der Produktionswille der Bäuer:innen ist nicht so hoch wie 1951“; „Wir sitzen auf einem Vulkan“; „Die Bäuer:innen werden aufständisch werden und vielleicht die Führung der Kommunistischen Partei ablehnen.“ […] „Die Bäuer:innen waren in der Vergangenheit nicht vergleichbar mit Lasttieren und werden heutzutage als solche verwendet. Die Ochsen stehen angebunden in den Häusern und Menschen werden stattdessen vor die Geräte gespannt. Mädchen und Frauen ziehen Pflüge und Eggen […]. (12)

Für diese Beschwerden wurden der stellvertretende erste Sekretär Wang T’ing-tung, der Sekretär des Provinzialkommitees Yang Chueh sowie P’an Fu-Sheng selbst aus ihren lokalen Führungspositionen gefeuert.

Währenddessen setzte die Partei einen Plan durch, den sie die die Vier-Plagen-Kampagne nannten. Dieser hielt die Bevölkerung dazu an, alle Moskitos, Fliegen, Mäuse und Spatzen zu töten. Im Glauben durchgeführt, dass diese Plagen geringere Getreideernten provozierten, führte die Kampagne jedoch zu einer ökologischen Katastrophe. Die Spatzen sind der natürliche Fressfeind der Heuschrecke und als die Spatzenpopulation rapide sank, schoss die Heuschreckenpopulation in die Höhe und vernichtete die Ernten. Dieser Faktor kam noch zusätzlich zur sowieso schon schwachen Erntesaison dazu.

Die unglückliche Überschneidung von Ereignissen endet hier allerdings noch nicht. Der Staat pochte ebenfalls auf eine höhere landwirtschaftliche Produktivität, um eine Rekordmenge an Getreide in die urbanen Zentren verfrachten zu können. Unterdessen meldeten Maos Parteikader in den Dörfern fälschlicherweise, dass die Erntemenge weiter steigen würde, was den Anschein hinterließ, dass den Forderungen des Staates tatsächlich nachgekommen werden konnte. All das führte in einem furchtbaren Missverhältnis zwischen staatlichen Prioritäten und Bedürfnissen der Massen dazu, dass die Partei die Nahrung, die eigentlich zur Verpflegung der Bauernschaft gebraucht wurde, weg verfrachtete. Unterdessen verlangte der Staat, dass viele Bäuer:innen in den landwirtschaftlich genutzten Regionen nun in der Stahlproduktion arbeiten sollten, anstatt mehr dringend benötigtes Getreide zu produzieren. Diese Kampagne wurde die Hinterhof-Stahl-Kampagne genannt.

Das Ergebnis all dieser Umstände führte zu einer der schlimmsten Hungersnöte der Menschheitsgeschichte, die etwa von 1959 bis 1961 andauerte. Die Arbeitenden, die unter der militärischen Führung der Parteikader dazu gezwungen wurden, die Tiere zu töten, die die erntezerstörenden Heuschrecken fraßen, wurden am Ende eines vollen Arbeitstages zu weit entfernten Feldern geführt, nur um dann nach Hause zurückzukehren und in den Hinterhoföfen minderwertigen Stahl zu produzieren. Dieses Zusammenspiel aus der führungstechnischen Unfähigkeit und der Zwangsarbeit führte zu einem Vertrauensverlust in die Kommunistische Partei Chinas bei der ländlichen Bauernschaft.

Die von den Geschehnissen beunruhigte Kommunistische Partei nutzte die Situation, um die Macht wieder vermehrt in ihren eigenen Händen zu bündeln. Sie führte wieder die Dynamiken des Handelsmarkts ein und zentralisierte die Produktion in einer kleineren Anzahl größerer und profitabler Unternehmen. Der Große Sprung nach vorn wurde somit aufgegeben. Tatsächlich stellt dieser Fehlschlag einen der wichtigsten Wendepunkte in der chinesischen Geschichte dar. In den Augen der Parteibürokrat:innen war der Große Sprung keine Katastrophe, die aus falscher Prioritätensetzung entstand, sondern ein praktisches Versagen der Arbeiterklasse, sich selbst zu verwalten. Ab diesem Zeitpunkt wurde Dezentralisierung in der Partei als unhaltbar angesehen und Maos interne Macht bedeutend geschwächt.

Die Kulturrevolution

Der Rückzug der Partei zu den eher traditionellen Marktmethodiken und die parteiinternen Streitigkeiten rund um seine Führungsrolle hielten Mao jedoch nicht von weiteren Experimenten ab. Für ihn stellten die Parteibürokrat:innen immer noch das größte Hindernis für den sozialistischen Fortschritt dar. 1965 sagte er dazu:

Die Bürokratenklasse ist eine Klasse, die im starken Gegensatz zur Arbeiterklasse und zu den armen und der unteren Mittelschicht angehörenden Bäuer:innen steht. Wie können wir diesen Menschen, die gerade zu Arbeiterblut saugenden bürgerlichen Elementen werden oder schon geworden sind, die Aufmerksamkeit geben, die sie verdienen? Diese Menschen sind das Hauptziel des Kampfes, das Hauptziel der Revolution. (9)

Es ist nicht schwer, den Nachhall von Maos früherem Streifzug durch den Anarchismus in diesen Worten zu erkennen. Wir sollten jedoch nicht zu weit abschweifen, da Mao nie die Möglichkeit zur Beseitigung des Staates gesehen hatte. Stattdessen vertrat er die Ansicht, dass die Krankheiten des Staates durch Bürokratieabbau und eine Befähigung der Massen, illegitime Hierarchien innerhalb dieser bürokratischen Organisationen vehement kritisieren zu können, verringert werden könnten.

Dieses Verständnis bildet die Verbindung zwischen der Hundert-Blumen-Bewegung und der Kulturrevolution und der darauffolgenden Unterdrückung derselben. Im revolutionären China wurde Kritik immer gefordert, sie war jedoch immer nur als den Zielen der Parteiherrschaft dienendes Werkzeug gedacht – zwar nicht immer die engen Ziele von Maos Eigeninteresse dienend, aber immer innerhalb der Grenzen seiner Kritik an der Bürokratie und kein Stück weiter.

Im Jahre 1966 begann Mao mit der sogenannten Kulturrevolution. Diese Ära, die auf die ein oder andere Weise eine ambitioniertere Version der Hundert-Blumen-Bewegung darstellte, baute sowohl auf Aufrufen zu öffentlicher Kritik und Aufständen auf, als auch auf Aufrufen zur Organisation einer neuen sozialen und wirtschaftlichen Ordnung nicht nur für den ländlichen Raum, wie es beim Großen Sprung der Fall war, sondern auch für die urbanen Zentren. So wie der Schlachtruf der Hundert-Blumen-Bewegung „Lasst hundert Blumen blühen; lasst hundert Denkschulen gegeneinander antreten.“ war, war das Motto der Kulturrevolution „Es ist richtig, zu rebellieren!“. Und so geschah es; wesentlich radikaler noch als die Partei je erwartet hätte.

1966 wurde eine Gruppe Schüler:innen, die sich die Rote Garde nannte, von der Schulverwaltung als „Konterrevolutionäre“ denunziert, weil sie ihre Schulleitung dafür kritisierten, dass sie intellektuell und elitär sei und bürgerliche Tendenzen aufweisen würde. Nachdem Mao ihr Manifest gelesen hatte, stellte er sich allerdings an die Seite der Schüler:innen und ließ das Manifest über Radio und Zeitungen verbreiten. Dies machte die Rote Garde zu einer landesweiten Bewegung von Schüler:innen und jungen Intellektuellen.

Im Januar des darauffolgenden Jahres erschien eines der vielversprechendsten Versuche der Kulturrevolution auf der Bildfläche: die Shanghai-Kommune. Diese stach aus der Masse der in dieser Zeit entwickelten Projekte heraus, da sie der Pariser Kommune am meisten ähnelte. Dabei war es kein Zufall, dass sich ein solches Ereignis gerade in Shanghai abspielte. Shanghai war immerhin das Zentrum des modernen industriellen Radikalismus und der Geburtsort der Kommunistischen Partei Chinas. Ebenfalls war Shanghai einer der dichtest besiedelten Regionen ganz Chinas, was sich zur Gefahr der Kommune für die staatliche Vorherrschaft dazu addierte. Die Arbeiterschaft von Shanghai, so zerstritten sie auch war, war extrem radikal und hatte vor, die Ideen der Kulturrevolution bis ans Äußerste auszureizen. Also schrieben sie eine Liste mit Forderungen:

Die Arbeitenden forderten, dass die Arbeiterhauptverwaltung [der Kommune] als legale Organisation in der „Diktatur des Proletariats“ anerkannt werden solle, um so das Monopol der politischen Macht der Kommunistischen Partei herauszufordern. Sie verlangten außerdem, dass die Arbeitenden mit den Mitteln ausgestattet werden sollten, alle Fabriken der Stadt selbst zu verwalten und forderten die Stadtverwaltung auf, öffentlich Rechenschaft über ihre Verwaltung abzulegen. (9)

Anweisungen aus der Hauptstadt forderten die Arbeitenden jedoch dazu auf, wieder an die Arbeit zu gehen und ihren Acht-Stunden-Arbeitstag abzuleisten und ermahnten die Organisator:innen des Aufstands, dass dies eine Provokation sei, um den Anweisungen der Partei zu trotzen und dass der Platz der Arbeitenden die Arbeit sei. Die Arbeitenden ließen sich davon jedoch nicht beirren. Voller Wut nahmen einige von ihnen den Zug nach Peking, um Mao selbst die Forderungen der Kommune zu unterbreiten, was zu einer dreitägigen Pattsituation zwischen Arbeitenden und Parteikadern führte. Letztendlich gab die Partei den Forderungen der Arbeitenden nach. Das, gepaart mit der gigantischen Streikwelle und direkter Aktion von Radikalen gegen die Parteibürokrat:innen, ging als Januarsturm, manchmal auch Januarrevolution, in die Geschichte ein.

Der Staat begann sogleich einen Plan zur Untergrabung dieser neuen Institution der Arbeiterkontrolle zu schmieden. Im Gegensatz zur Sowjetunion stellte sich die chinesische Partei wesentlich geschickter an in ihrer Intrige. Sie schlug die Shanghai-Kommune nicht gewaltsam nieder. Stattdessen nutzten sie die Existenz der temporären Führungsrollen in der Kommune, um die Rätedemokratie, die die Arbeitenden aufzubauen versuchten, zu unterwandern.

Wie schon beim Großen Sprung sah sich die Partei die Vielzahl der Experimente an und hatte Präferenzen, welches von ihnen sich durchsetzen sollte. Dort, wo die Arbeitenden eine direkt gewählte und jederzeit widerrufbare Führung forderten, forderte Peking im Gegenzug, dass sie stattdessen lieber anderswo stattfindende Projekte imitieren und eine zentralisierte Top-Down-Führung einführen sollten. Als Zhang Chunqiao, einer der Köpfe der Shanghai-Kommune, Mao in Peking besuchen fuhr, um ihn zu informieren, dass die Kommune plane, nach Pariser Vorbild alle Führungsrollen zu eliminieren und dass ihm zugetragen wurde, dass dies nicht erlaubt werde, sagte Mao zu den Plänen der Kommune:

Das ist extremer Anarchismus, das ist höchst reaktionär […] In der Realität wird es immer Führungspersonen geben. (9)

Die Struktur, die die Partei bevorzugte, war das sogenannte „revolutionäre Komitee“, das auf der Zusammenarbeit von Massenorganisationen, Parteikadern und dem Militär aufbaute. Die Armee, die direkte Repräsentantin des Willens der Kommunistischen Partei war, übernahm schnell die dominante Position in diesen „revolutionären“ Komitees und zerstörte alle Macht, die die Arbeitenden während der Januarrevolution übernommen hatten. Als Zhang Chunqiao zurückkehrte, löste er, wie es der Staat forderte, die Shanghai-Kommune auf und strukturierte sie zu einem „revolutionären Komitee“ mit Top-Down-Kontrolle um. Projekte anderswo, die auch diese revolutionären Komitees einsetzten, sahen ebenfalls nur minimalen reformistischen Fortschritt und waren dazu gezwungen, die Ziele der Kulturrevolution über das nächste Jahrzehnt langsam verschwinden zu sehen.

Ein Jahr später, im Jahre 1968, schrieb eine weitere Gruppe an Schüler:innen, die sich selbst Sheng-Wu-Lien abkürzten, eine vernichtende Kritik mit dem Titel „Wohin, China?“. In diesem Text kritisierten sie die Haltung der Armee und der Staatsregierung als konterrevolutionär.

Vor der Befreiung kämpften die Armee und das Volk Seite an Seite für die Überwindung von Imperialismus, Kapitalismus und Feudalismus. Die Beziehung zwischen Armee und Volk war wie die zwischen Fisch und Wasser. Nach der Befreiung […] veränderten einige Teile der Streitkräfte nicht nur ihre fundamentalen Beziehungen zum Volk, wie sie vor der Befreiung existiert hatten, sie wurden sogar Werkzeuge zur Unterdrückung der Revolution. (13)

Die Schüler:innen waren ebenfalls empört darüber, was der Shanghai-Kommune angetan worden war und schrieben dazu:

Warum stellte sich Genosse Mao, der die „Kommune“ immer vehement befürwortet hatte, im Januar plötzlich gegen die Gründung der „Shanghaier Volkskommune“? Das kann das revolutionäre Volk nur schwer nachvollziehen. Der Vorsitzende Mao, der vorhersah, dass die „Kommune“ als politische Struktur in der ersten Kulturrevolution verwirklicht werden müsse, fand plötzlich: „Revolutionäre Komitees passen schon!“ (13)

Ihre Kritiken waren manchmal sogar unabhängige Entdeckungen von Ideen, vor denen Anarchist:innen bereits vor einem knappen Jahrhundert gewarnt hatten:

Die von den Massen in ihrem Zorn [des Januarsturms] enthüllten Umstände sagten den Menschen zunächst, dass diese Klasse der „roten“ Kapitalist:innen vollständig zu einer verfallenden Klasse geworden war, die den Fortschritt der Geschichte behinderte und dass sich die Beziehung zwischen ihnen und dem restlichen Volk von einer Beziehung zwischen Führenden und Geführten zu einer Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten bzw. Ausbeutenden und Ausgebeuteten verändert hatte. Aus der Beziehung zwischen gleichberechtigten Revolutionär:innen wurde eine Beziehung zwischen Unterdrückenden und Unterdrückten. Die besonderen Privilegien und hohen Löhne der Klasse der „roten“ Kapitalist:innen wurde auf der Ausbeutung der breiten Massen erbaut. Um die „Volkskommune Chinas“ zu verwirklichen war es notwendig, diese Klasse zu stürzen […] Die Siegesfrüchte der Januarrevolution […] wurden de facto von der Bourgeoisie an sich gerissen. Sozialreformen wurden beendet, soziale Wandel wurden nicht abschließend vollzogen und gefestigt und das „Ende“ der ersten Kulturrevolution wurde nicht erreicht. In den Worten der Massen: „Alles bleibt wie es ist nach so viel Getue.“ (13)

Das endgültige Scheitern von Maos staatlichem Programm, den Sozialismus einzuführen und sein direkt darauffolgender Tod, führte zum Abbruch aller sozialistischen Experimente in China. Dieses Ereignis löste einen Machtwechsel in der Partei sowie den Aufstieg des Dengismus aus.

Leider wurden die Gegner der Sheng-Wu-Lien in China bis heute nicht geschlagen. Ganz im Gegenteil: die autoritäre Bürokratie, die die chinesischen Arbeitenden so wütend gemacht hatte, hat katastrophale Ausmaße angenommen. Im Jahre 2011 schrieb ein Mann namens Xu Lizhi, ein Arbeiter in einer Foxconn-Fabrik, ein Gedicht über seine Gefühle als Arbeiter im modernen China mit dem Titel „Ich schlafe ein, so wie ich hier stehe“:

Das Papier vor meinen Augen vergilbt
Mit einem stählernen Stift bekritzle ich es mit ungleichmäßigem Schwarz
Voller Arbeitswörter
Werkstatt, Fließband, Maschine, Arbeitskarte, Überstunden, Lohn…
Sie haben mich trainiert, gehorsam zu sein
Unwissend, wie man schreit oder rebelliert
Wie man sich beschwert oder denunziert
Nur wissend, wie man leise an der Erschöpfung leidet
Als ich das erste Mal diesen Ort betrat
Hoffte ich nur auf den grauen Lohnzettel am Zehnten jedes Monats
Um mir verspäteten Trost zu spenden
Dafür musste ich meine Ecken abschleifen, meine Worte abschleifen
Mich weigern, Arbeit zu schwänzen, krank nach Hause zu gehen, aus privaten Gründen zu gehen
Mich weigern, zu spät zu kommen, früher zu gehen
Am Fließband stand ich stramm wie Eisen, die Hände flogen
Wie viele Tage, wie viele Nächte
Bin ich – genau so – stehend eingeschlafen? (14)

Xu Lizhi nahm sich 2014, gerade einmal drei Jahre später, das Leben. Was bleibt vom Traum, für den so viele starben? Nichts außer Symbole, Flaggen und Ruhm durch historische Verbindung. Der einzige Beistand für die derzeit dort lebenden Revolutionär:innen ist die Ästhetik ihrer Herrschenden.

Im letzten Teil dieses Essays werden wir zu einer Untersuchung der Theorie zurückkehren, um vielleicht so zu einer Synthese der Gedanken der vielen großen von uns betrachteten Denker:innen zu kommen und ein Verständnis darüber zu gewinnen, was in diesen Projekten passierte.

(1) Pjotr Kropotkin: Are We Good Enough? (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch die Übersetzer:innen des Essays) | https://theanarchistlibrary.org/library/petr-kropotkin-are-we-good-enough
(2) Im Original hat Anark an dieser Stelle einen Fehler gemacht: Er schreibt, dass Mao selbst als Austauschschüler in Frankreich gewesen sei, was nicht stimmt. Dieser inhaltliche Fehler wurde von ihm selbst in späteren Videos richtiggestellt und wird in dieser Übersetzung nicht reproduziert.
(3) Edgar Snow: Red Star Over China (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://archive.org/details/dli.ernet.237507/page/151/mode/2up
(4) Robert Scalpino, George T. Yu: The Chinese Anarchist Movement (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://libcom.org/article/chinese-anarchist-movement-robert-scalpino-and-george-t-yu
(5) Chuang: Sorghum and Steel (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://chuangcn.org/journal/one/sorghum-and-steel/
(6) Mao Tse-Tung: Über die demokratische Diktatur des Volkes (Zitat aus der deutschen Übersetzung) | http://www.infopartisan.net/archive/maowerke/MaoAWIV_437_452.htm
(7) Mao Tse-Tung: Report to the Second Plenary Session of the Seventh Central Committee of the Communist Party of China (Zitat aus der englischen Übersetzung auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://www.marxists.org/reference/archive/mao/selected-works/volume-4/mswv4_58.htm
(8) Stephen Andors: China's Industrial Revolution: politics, planning, and management, 1949 to the present (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://archive.org/details/chinasindustrial00ando/page/48/mode/2up?q=by+1953+approximately+80+percent+of+the+managerial+personnel
(9) Maurice Meisner: Mao's China and After - A History of the People's Republic (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://files.libcom.org/files/maurice-meisner-maos-china-and-after-a-history-of-the-peoples-republic-third-edition.pdf
(10) Elizabeth Perry: Shanghai's Strike Wave of 1957 (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://www.cambridge.org/core/journals/china-quarterly/article/abs/shanghais-strike-wave-of-1957/9D742D6CC2F31739D084446AFE0EC403
(11) Peng Shuzi: A Criticism Of The Various Views Supporting The Chinese Rural People’s Communes (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://www.marxists.org/archive/peng/1960/x01.htm
(12) Ygael Gluckstein: The Chiniese People's Communes (Zitat aus dem englischen Original auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://www.marxists.org/archive/cliff/works/1960/xx/peoplescommunes.html
(13) Sheng-Wu-Lien: Whither China? (Zitat aus der englischen Übersetzung auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://www.marxists.org/subject/china/documents/whither-china.htm
(14) Xu Lizhi: The poetry and brief life of a Foxconn worker: Xu Lizhi (1990-2014) (Zitat aus der englischen Übersetzung auf Deutsch übersetzt durch den Übersetzer des Essays) | https://libcom.org/article/poetry-and-brief-life-foxconn-worker-xu-lizhi-1990-2014

Anark

Daniel Baryon, geboren 1986, ist ein amerikanischer YouTuber und Autor. Auf seinem Kanal Anark lädt er Videos über die philosophischen und theoretischen Grundlagen anarchistischen und libertär-sozialistischen Denkens hoch. Neben seiner Tätigkeit als YouTuber ist er in der Cooperation Tulsa und der Scissortail Anarchist Organization aktiv.

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