Polizeikonstrukt zusammengebrochen - Freispruch für Kóstas Dimaléxis


Ralf Dreis
Aktuelles Griechenland

Das Berufungsgericht in Athen hat den 25-jährigen Anarchisten Kóstas Dimaléxis am 20.11.2023 einstimmig von den Vorwürfen der Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung freigesprochen. Er wurde nach der Urteilsverkündung auf freien Fuß gesetzt nachdem er ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen hatte.

Dimaléxis selbst hatte in seiner Erklärung vor Gericht betont, dass es das Ziel der Polizei gewesen sei, „am Tag meiner Verhaftung ein Terrorregime über die besetzten Häuser des Flüchtlingsviertels zu errichten“. (Die „katilimména prosfygiká - besetzte Flüchtlingsunterkünfte“ sind nach der Kleinasiatischen Katastrophe und der Vertreibung von 2 Millionen Griech:innenin aus dem heutigen Staatsgebiet der Türkei, in den 1920er und 1930er Jahren errichtete Flüchtlingsunterkünfte an der Alexándra-Avenue in Athen. Die heruntergekommenen Gebäude wurden in den letzten 15 Jahren nach und nach besetzt, einzelne Wohnungen sind auch noch vermietet. In der kämpferischen Nachbarschaft leben ca. 400 Menschen.)
Das gesamte Konstrukt, das vom Staatsschutz gegen Dimaléxis errichtet worden war, ist vor dem dreiköpfigen Gericht zusammengebrochen. Die Richter sprachen Dimaléxis, dem der Anschlag gegen das Real-News-Büro im Athener Stadtteil Maroússi im Juli 2022 vorgeworfen wurde und dem darüber hinaus die Gründung und der Beitritt zur Organisation „Tausend Sonnen der Nacht“ zur Last gelegt wurde, von allen Anklagepunkten frei. Er wurde lediglich der Vergehen der Verweigerung der Abnahme von Fingerabdrücken und des Waffenbesitzes (Taschenmesser und Pfefferspray in der Wohnung) für schuldig befunden, wofür ihn das Gericht zu 22 Monaten Haft auf Bewährung verurteilte. Dutzende solidarische Unterstützer:innen im Gerichtssaal brachen bei der Verkündung des Urteils in Jubel und Beifall aus.
Für alle, die an früheren Gerichtssitzungen teilgenommen hatten, war die Unhaltbarkeit der Anklage offensichtlich. So war der einzige Zeuge der Anklage, ein leitender Polizeibeamter, der zum Anschlag gegen Real-News aussagte, nicht mit den Ermittlungen zu dem Fall vertraut und konnte nur Aussagen vom Hörensagen machen. Und selbst auf Vorschlag des Staatsanwalts war schon zuvor, zumindest der erste Teil der Anklage, der die Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung betraf, fallen gelassen worden, da es weder Indizien, geschweige denn Beweise gab, um die Behauptungen der griechischen Polizei nach der Existenz einer solchen Vereinigung zu stützen. So gibt es weder die drei nötigen Personen um die Existenz einer kriminellen Vereinigung zu untermauern, noch irgendwelche Hinweise über die Struktur und die Hierarchie der Organisation oder über die Identität weiterer möglicher Mitglieder. Um die Anklage zumindest teilweise zu retten und die Untersuchungshaft aufrecht zu erhalten, hatte die Staatsanwaltschaft die Verurteilung von Dimaléxis für die Brandstiftung und die Explosion bei Real-News empfohlen. Ihrer Ansicht nach reichte das vom Staatsschutz erstellte belastende Material aus, um Dimaléxis als Täter des Anschlags zu überführen.

„Eine einzige Farce“

Das einzige belastende Beweismittel sind Aufnahmen einer Überwachungskamera in der Nähe des Tatorts, auf denen ein Auto zu sehen ist, das Dimaléxis´ Wagen ähnelt. Das Konstrukt der griechischen Polizei, dass dieses Fahrzeug, weil es dem von Dimaléxis ähnelt, auch seines sein muss, brach im Prozess zusammen, da das wichtigste Indiz, nämlich das amtliche Kennzeichen des Fahrzeugs, nirgends zu sehen ist.
Gemeinsam mit der Anklageschrift brach auch die Erfolgsmeldung der rechtsradikal – neoliberalen Regierung und ihres damaligen Ministers für Bürgerschutz, Tákis Theodorikákos, in sich zusammen. Der hatte nach dem Erstürmung der besetzten Häuser der katilimména prosfygiká durch die Polizeitruppen im November 2022 und der Verhaftung von Dimalexis getönt, dass „ein weiterer krimineller Akt aufgeklärt worden ist“.
Begleitet von der in Griechenland üblichen Terror-Hysterie der regierungsnahen Massenmedien war Dimaléxis in den Tagen nach der Razzia zum Rädelsführer einer anarchistischen kriminellen Vereinigung und die zum Großteil besetzten Häuser der Nachbarschaft, zum Terrornest aufgebaut worden. Noch bevor die Anklageschrift überhaupt die Gerichtssäle erreichte war nicht mehr viel davon übrig. Ursprünglich war gegen Dimaléxis in sechs Fällen schwerer Brandstiftung ermittelt worden. Aus Mangel an Indizien wurde er letztendlich nur wegen des Anschlags auf die Büros der Nachrichtengruppe Real-News angeklagt und nun auch da freigesprochen.
Er hatte sich von Anfang an entschieden die Anklage vor Gericht politisch zurück zu weisen und in diversen Erklärungen deutlich gemacht, dass er als Aktivist der „besetzten Flüchtlingshäuser“ zur Zielscheibe staatlicher Repression wurde. Zum gewaltsamen Einmarsch der Polizei in die besetzten Prosfygiká am 22. November 2022, die in der Solidaritätsbewegung als „Orgie der Repression mit brutalen Verhaftungen“ bezeichnet wurden, sagte er: „Die besetzte Gemeinschaft der Prosfygiká wird rund um die Uhr von der Polizei überwacht, weil es sich um die derzeit größte Besetzung in Europa handelt und sie direkt neben der GADA (Polizeipräsidium Athen) liegt. (...) An meiner Stelle hätte es jeden treffen können. Die Polizei hat mich aufgrund meines Profils ausgewählt, um mir diese Taten zuzuschreiben. Das Ganze war eine einzige große Farce, nichts weiter. Sie wollten am Tag meiner Verhaftung eine Terror-Erzählung verbreiten, um dem Viertel ein Terrorregime aufzuerlegen.“

Ralf Dreis

Ralf Dreis, Gärtner, Neugriechisch-Übersetzer, freier Journalist und Anarchist, lebt seit den 1980er Jahren in Deutschland und Griechenland, ist Mitglied der FAU und in der anarchistischen Bewegung beider Länder aktiv.

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