Indirekte Aktion: Über die Straßenblockaden der Letzten Generation


Joshua
anarchismus.de Direkte Demokratie Bericht

Die letzten Monate und vor allem die letzten Wochen waren begleitet von viel diskutierten Blockaden auf den Autobahnen einiger größerer deutscher Städte. Diese Aktionsform des Festklebens auf den Straßen und Sitzblockierens des Autoverkehrs wählte der Aufstand der letzten Generation. Ziel der Blockierenden war neben einer allgemeinen größeren Öffentlichkeit für die Klimakrise ein vorher schon durch den viralen Hungerstreik der letzten Generation gefordertes Gesetz zur Rettung von ansonsten weggeworfenen noch genießbaren Lebensmitteln von denen, wie wir alle wissen, es reichlich gibt. Eine Einführung des sicherlich sinnvollen Gesetztes konnten die Aktivist:innen bis dato nicht erreichen, aber des Spotts in sozialen Medien und der offenen Feindschaft der Blockierten konnten sie sich mehr als sicher sein. Über das Gesetz selber und die Forderungen soll hier nicht diskutiert werden. Das es drastische Maßnahmen und Widerstand von unten zum Abwenden der Klimakrise und der apokalyptischen Folgen für die Menschheit bedarf ist mehr als eindeutig.

Aber was ist nun von dieser Aktionsform und Kampagne aus anarchistischer Sicht zur Erreichung dieser wichtigen Forderung zu halten? Diese Antwort wollte uns wohl der Artikel „Umbruch jetzt statt Zusammenbruch morgen!“ (23. Februar 2022) in der Direkten Aktion geben. Das er dies versucht ohne einmal die Begriffe Kapitalismus, Ökonomie oder Klasse zu verwenden ist beachtlich, aber sollte uns vielleicht auch etwas stutzig machen. Bei vielen der Aktivist:innen und auch jenen die eigentlich mit den Forderungen sympathisieren gibt es einen zentralen Widerspruch: Wenn unsere Forderungen so richtig und wichtig sind, warum erfahren wir so viel Ablehnung von jenen die wir blockieren? Darauf liefert uns der Artikel eine Antwort aus Perspektive der Aktivist:innen:

Denn sich auf deutschen Straßen einfach so hinzusetzen oder sich gar festzukleben und damit den Verkehr zu behindern, kommt im sogenannten Berufsverkehr einer Todsünde gleich, die starke Emotionen bei den Betroffenen und ihren medialen Rezipient:innen hervorruft. Ob dies an der stereotypisch unterstellten Pünktlichkeit, dem vorauseilenden Gehorsam oder tatsächlicher Existenzangst oder doch nur an der leisen Ahnung liegt, Teil des Problems zu sein, ist fraglich.

So richtig möchte man sich in der unterstellten Melange aus deutscher Obrigkeitshörigkeit, Schlechtem Gewissen auch Schuld an der Klimakrise zu sein und Angst vor Ärger im Job nicht festlegen. Wer auf so eine Erklärung kommt muss wohl komplett vergessen haben wie das alltägliche Leben der allermeisten Menschen in Deutschland aussieht. Wer fünf oder mehr Tage die Woche gehetzt im „sogenannten Berufsverkehr“ (Zitat oben) zur Arbeit fahren muss nur um frustriert und kaputt abends wieder den gleichen Weg zurück zu nehmen ist vielleicht nicht sonderlich begeistert zusätzlich noch für unbestimmte Zeit im Stau zu stehen. Jetzt könnten sich ja manche fragen: Warum nehmen die Menschen im Stau nicht einfach an der Blockade teil? Neben dem einfachen Fakt, dass es Leuten immer etwas schwer fällt Sympathien für die Menschen zu entwickeln die sie gerade in ihrem Alltag stören, ist es Arbeiter:innen ohne Gewerkschaft und solidarischen Kolleg:innen nicht einfach so möglich ihre Arbeit niederzulegen.

Was hier aus den Aktivist:innen spricht ist eine Hochnäsigkeit gegenüber Arbeiter:innen und ein liberales Verständnis von dem Kampf gegen die Klimakrise. Nicht nur sieht man sich als kleine elitäre Truppe, losgelöst von der Gesellschaft, die den Kampf anführt sondern man scheint auch zwei Hebel in diesem Kampf zu sehen. Der erste Hebel ist der Aktivismus dieser Leute, der zweite die Politik im Bundestag, welche durch den ersten beeinflusst werden soll. Damit spielt die Letzte Generation sich als Retter all jener auf die scheinbar nicht den gleichen Durchblick haben wie die Aktivist:innen.

Unser Ansatz und unser Hebel muss aber ganz im Gegensatz dazu die alltägliche Erfahrung der Arbeiter:innen in Deutschland und Weltweit sein. Wie viele von uns spüren nicht auch hier schon die Auswirkungen der Klimakrise? Die Bauern deren Ernten durch Dürren gefährdet sind. Die Familien die sich teurer werdende Nahrung nicht mehr leisten können. Die Bewohner:innen der Dörfer die durch RWE zerstört werden. Die Menschen deren Wohnungen bei Hitzewellen ohne Klimaanlage nicht mehr bewohnbar sind. All das scheint noch harmlos im Gegensatz zu der alltäglichen Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen im Globalen Süden die jetzt schon Realität ist. Diese unterschiedlichen Realitäten dürfen aber nie gegeneinander ausgespielt werden sondern sollten uns eher zeigen, dass wir alle als Arbeiter:innen, Bauern und Arme dieser Welt als erste, egal in welchem Staat, unter dieser Klimakrise leiden und zugrunde gehen werden.

Ohne eine Verankerung in den Gewerkschaften, ohne einen Aufbau von Strukturen des Klimakampfes von unten und ohne eine breite Verankerung in der Gesellschaft wird der Kampf der Letzten Generation immer ein symbolischer und liberaler bleiben. Liberale Kämpfe werden in einem imperialistischen und kapitalistischen Staat, wie der Bundesrepublik, zu keiner Lösung der Klimakrise führen. Es werden symbolische Gesetze verabschiedet die auf Kosten der Arbeiter:innen gehen, durch Erhöhung der Fleisch- oder Benzinpreise oder Erleichterungen „klimafreundlicher“ Investitionen auf Kosten von Steuergeldern. Es wird eine „gute“ CO²-bilanz geschaffen durch Import von Kohlestrom aus anderen Staaten oder dem Raubbau von Ressourcen aus Regionen des Globalen Südens.

Ein Angriff auf einige Autofahrende scheint aber ein Angriff auf alle zu sein. Für den Aktivismus eigentlich eine gute Nachricht. Es muss in Zukunft viel mehr Raum besetzt, blockiert und angeeignet werden, der bisher eher für klimaschädliche Handlungen zur Verfügung steht. [...] Eine grüne Ampelphase, ein paar Banner, wärmende Utensilien, etwas Kleber und viel Mut von einer Hand voll Personen und schon gerät das Autoland in Aufregung.

Neben den Problemen der Strategie der Letzten Generation bleibt trotzdem noch die Frage: Wem nützt das? Bei Aussagen wie der oberen und den Reaktionen der konservativen Medien kann mit Sicherheit geantwortet werden: Der Rechten. Rechtsradikale und Rechtsliberale Parteien spielen sich mit dem Anstieg von Klimaprotesten immer mehr als Verteidiger der Arbeiter:innen vor Anstieg der Preise von Lebensmitteln, Benzin und Strom und „Zerstörung“ klimaschädlicher Industrien auf. Das das Ganze eine ziemliche Farce ist ist zwar allen klar, aber eine Haltung wie die der Letzten Generation in Bezug auf Arbeiter:innen lässt sicherlich viele zweifeln ob nicht vielleicht doch die Klimakrise auf ihrem Rücken ausgetragen werden soll. Bei solchen Blockaden und solch einer Einschätzung fällt es den Rechten sehr leicht einen Widerspruch zwischen Klimakampf und Interessen der Arbeiter:innen aufzumachen.

Dieser Widerspruch ist in machen Fragen da, aber genau diese sollten auch von uns ein Kampffeld sein. Anstatt die Mobilitätswende gegen Autofahrer:innen aufzubauen müssen wir für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr kämpfen. Anstatt nur Kohlekraftwerke zu blockieren müssen wir auch immer für bezahlbaren Strom kämpfen. Anstatt den Berufsverkehr zu blockieren müssen wir zusammen mit den Gewerkschaften die Fabriken bestreiken oder wenn das noch nicht möglich ist die Fabriken selber blockieren. Anstatt ihres Feierabends beraubt zu werden oder vom Chef für die Verspätung Ärger zu bekommen, wären sicherlich viele Arbeiter:innen über uneingeplante Pausen nicht gleichermaßen erzürnt. Anstatt also die Menschen in ihrem Alltag abseits der Arbeit zu belästigen sollten unsere Aktionen schon ohne große Kommunikation zeigen, was das Ziel ist und wer unser Feind. Denn das sind nicht die Arbeiter:innen oder Autofahrer:innen, sondern die Kapitalist:innen, Staatschefs und Lobbyist:innen. Und genau das unterschiedet eine „Direkte Aktion“ von liberaler Symbolpolitik.

Uns muss also klar sein, dass wir nur erfolgreich die Klimakrise abwenden können wenn wir mit der breiten Gesellschaft kämpfen. Wenn wir nicht die Menschen gegen uns aufbringen, welche durch staatliche Infrastruktur, finanzielle Not, wirtschaftliches Angebot und dadurch geprägte Kultur individuelles klimaschädliches Verhalten zeigen. Aber genau das machen die „sogenannten“ Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation. Sie schaffen ein Widerspruch zwischen Klassenkampf und Klimakampf. Sie treiben einen Keil zwischen Arbeiter:innen und Klima-Aktivist:innen. Und vor allem schaden sie der jahrzehntelangen Verwurzelung vom Klimakampf in der Bevölkerung und dem Aufbau unserer klassenbewussten Klimagruppen.

Joshua

Joshua kam in seiner frühen Jugend das erste Mal mit Anarchismus in Kontakt und ist seit einigen Jahren in unterschiedlichen Projekten des organisierten Anarchismus aktiv. Dort liegt sein Schwerpunkt auf der anarchakommunistischen Föderation die Plattform und diversen lokalen Initiativen in seiner Heimatstadt Dortmund. Nebenbei ist er noch Teil der Freien Arbeiter*innen-Union und des anarchismus.de Kollektivs.

Von Arbeiter*innen-Geschichte über marxistische Lektüre hin zu strategischen anarchistischen Debatten beschäftigen ihn verschiedene theoretische Ansätze. Diese unterschiedlichen Themenfelder kann er in dem Podcast und Medienprojekt Übertage vereinen, welches er im Frühjahr 2021 zusammen mit einem Genossen gegründet hat.

Links: https://linktr.ee/uebertage

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