Liebe Gefährt:innen, zu Beginn würde es uns interessieren, wann und wie es überhaupt zur Entstehung der Potsdamer A-Tage kam? Was hat euch damals bewegt?
Die Idee war 2018 bei den ersten A-Tagen eigentlich eine Art Mainstreaming: Anarchistische Politik in Potsdam und Umgebung sichtbar machen und zusammenführen, um selbstbewusster und wirkungsvoller arbeiten zu können. Vorbild waren dabei vor allem die Libertären Tage Dresden. Unsere Beobachtung war, dass es eine Menge Anarchist:innen und in der Sache anarchistische Initiativen gab, ohne das sie als solche wahrgenommen wurden - das wollten wir ändern.
Wie schätzt ihr allgemein den Zustand der anarchistischen Bewegung in eurer Region ein? Und konntet ihr in den vergangenen Jahren Veränderungen feststellen?
Grundsätzlich gab und gibt es in Potsdam und Umgebung mehrere anarchistische Initiativen. Brandenburg ist schwach besiedelt, hat wenig größere Städte und Potsdam fällt ein bisschen aus dem Raster des Bundeslandes. Die Stadt hat durch den Hauptstadtstatus, durch die damit höheren Finanzmittel, die Nähe zu Berlin, der bürgerlichen Geschichte, dem westdeutschen Zuzug und dem Universitätsstandort eine eigene Entwicklung. Das zeigt sich auch in der Szene. Diese besteht vornehmlich aus vielen Studierenden samt Fluktuation und der ehemaligen Hausbesetzungsszene. Da treffen teilweise auch Realitäten aufeinander. Grundsätzlich war Potsdams linke Szene aber in den 90er Jahren anarchistisch geprägt und hat viele Strukturen und Häuser hinterlassen, worauf die "neue Generation" zurückgreifen kann. In den letzten Jahren gab es allerdings wenig dezidiert anarchistische Organisation. Zumindest gab es aber eine Anarchist Black Cross-Gruppe, ein Syndikat der Freien Arbeiter:innen Union (Jetzt Berliner Stadtsektion) und eine Anarchosyndikalistische Jugend. Heute sind es eher einzelne Bezugsgruppen, die FAU Stadtsektion, sich als anarchistisch verstehende Antifa-Gruppen, die Red Anarchist Skinheads (RASH), Hausprojekte und die Anarchistischen Tage. Im Umland gibt es einige weitere Hausprojekte und Wagenplätze. Einzelpersonen engagieren sich eher in Potsdam oder Berlin oder ziehen gleich weg. Dennoch gibt es das Gefühl unsererseits, dass sich da etwas tut und sichtbar mehr Menschen, vor allem junge Studierende, sich nach außen hin anarchistisch positionieren.
Wieviele Menschen besuchen im Schnitt die A-Tage? Welchen Blick habt ihr auf die Entwicklung eurer Besucher:innenzahlen?
Die Besucher:innenzahlen schwanken über die Jahre, nehmen aber zu. Unterschiede gibt es vor allem je nach Veranstaltung. So waren in den letzten Jahren die bestbesuchten Veranstaltungen räumlich voll belegt, also mit ca. 50-60 Teilnehmenden. Zu unserem fünften Geburtstag haben wir in der La Datscha eine Party gefeiert, da wurde es deutlich voller mit ca. 300 Besucher:innen. Zu den schlechtbesuchtesten Vorträgen kamen dann eher so 3 Leute. Es scheint also sehr auf das Thema, das Konzept, Konkurrenzveranstaltungen und die Werbung anzukommen. Für dieses Jahr erwarten wir etwas mehr Menschen, da wir vorab schon Anmeldungen von Gästen haben und man quasi das ganze Wochenende bei den A-Tagen in Potsdam verbringen kann und wir nicht, wie sonst eher nur für einen abgesteckten Zeitraum, jeden zweiten Tag etwas programmatisch anbieten.
Im Gegensatz zu den letzten Jahren habt ihr bei den A-Tagen 2025 einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt – den Antimilitarismus. Könnt ihr uns erzählen, warum ihr euch dafür entschieden habt?
Wir hatten schon öfter die Idee, einen Schwerpunkt zu setzen, waren uns in der Umsetzung allerdings nicht sicher. Sinnvoll finden wir es, damit wir nicht diffus verschiedene Gebiete immer nur oberflächlich anreißen (das kann natürlich auch Vorteile haben), sondern einen spezifischen sehr genau unter die Lupe zu nehmen - mit der Hoffnung, dass sich dadurch mehr Antworten ergeben und wir als Bewegung themenspezifisch handlungsfähiger werden. Diesmal haben wir an unserem Konzept geschraubt und uns verschiedene Themen angeschaut, die tauglich für einen Schwerpunkt schienen. Schlussendlich haben wir uns für Anti-Militarismus entschieden, weil es mehrere von uns in letzter Zeit persönlich bewegt hat, es ein aktuellerer Diskussionsgegenstand wurde und spürbarer insbesondere für die europäische Mehrheitsgesellschaft, aber auch der anarchistischen Bewegung geworden ist. Es bedarf unserer Meinung nach einerseits einen klaren anti-militaristischen Standpunkt innerhalb linker bzw. emanzipatorischer Bewegungen. Andererseits vermissen wir jedoch bisher einen eindeutigen anarchistischen Einfluss auf die anti-militaristische Bewegung. Auf Fragen zu Krieg, Flucht, Vertreibung und Dienst an der Waffe hatten Anarchist:innen schon immer Antworten - wir möchten diese wieder mehr in den Vordergrund rücken! Sicherlich kann auch das verlängerte Wochenende den Schwerpunkt nur begrenzt angehen und vieles bleibt unangetastet. Dennoch denken wir, dass diese Herangehensweise aufschlussreich sein kann.
Mit welchen Schwierigkeiten seid ihr konfrontiert bei der Organisation der A-Tage, zum einen was die Gegebenheiten in Potsdam als auch die aktuellen politischen Verhältnisse betrifft?
Wir haben uns früh dazu entschieden, uns komplett selbstfinanziert zu organisieren. Dadurch sind wir nicht auf externe Förderungen angewiesen und müssen auch nicht befürchten, dass uns durch politische Ereignisse die Gelder entzogen werden. Gleichzeitig müssen wir natürlich dafür Sorge tragen, dass wir Spendengelder auf unseren Veranstaltungen oder durch Soliaktionen eintreiben. Das war bisher aber keine große Hürde. Die A-Tage Potsdam sind auf das Bestehen verschiedener Veranstaltungsorte angewiesen, da wir ohne frei zugängliche Räume auch keine Vorträge beherbergen können. Potsdams Hausprojekte und subkulturelle Veranstaltungsräume sind uns grundsätzlich wohlwollend und solidarisch gesinnt. Dennoch kriegen wir mit, dass rechte Medienportale Stimmung machen gegen subkulturelle Räume und dass die AfD in der Stadtverordnetenversammlung genau jene Hausprojekte zerschlagen möchte. In dieser Hinsicht ist eine gewisse Gefährdung auszumachen. Abgesehen davon spüren wir sehr wenig politischen Widerstand. Vor ein paar Jahren zu einer Einführungsveranstaltung haben ein paar Marxist:innen durch vermeintlich kritische Fragen versucht, die Vortragenden aus der Ruhe zu bringen. In Folge haben wir unsere potentielle Rolle als Moderation ernster genommen; letztes Jahr gab es eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der "Gruppe gegen jeden Antisemitismus Potsdam" bezüglich der Einladung von Perspektive Selbstverwaltung und ihres Statements zu Israel und Palästina. Bedauerlicher Weise waren wir zu diesem Zeitpunkt dem Druck nicht gewachsen und sahen uns gezwungen, die Veranstaltung zu verschieben, eine Entscheidung, die wir inzwischen bereuen. Den Vortrag haben wir zeitnah nachgeholt und in der Aufarbeitung des "Konfliktes" konnten wir unser Selbstverständnis konkretisieren, statt uns zu spalten.
Hat es einen Grund, dass die diesjährigen A-Tage über eine deutlich kürzere Zeitspanne stattfinden, dafür aber die Tage kompakter gefüllt sind, als es in den letzten Jahren der Fall war?
Letztes Jahr im August besuchten wir die anarchistischen Tage in Greifswald. Deren Veranstaltungsformat hat sich von unserem gewohnten Konzept, einer zweiwöchigen Veranstaltungsreihe, unterschieden. Die meisten Veranstaltungen fanden ein ganzes Wochenende lang an ein bis drei zentralen Orten bzw. Projekten statt, es gab ganztägige Verpflegung und viel Austausch. Obendrein wirkten die Vorgänge wie Selbstläufer und die Veranstalter:innen schienen an den Tagen selbst nicht viel Stress gehabt zu haben. Beeindruckend war auch die Motivation der Gäst:innen, die sich nach weniger Zeit auf den Vorträgen wieder erkannt haben, und so das Gefühl einer wachsenden Vernetzung aufkam. Hinzu kommt noch der Vorteil, dass ein kompaktes Wochenende den Gäst:innen die Möglichkeit bietet, von außerhalb zu kommen. Es wird also ein überregionales Publikum angesprochen, welches für ein Wochenende in eine andere Stadt oder Bundesland fahren kann. Gepaart mit unserem Fokus auf ein bestimmtes Thema, wollten auch wir dieses Jahr eine kompakte Variante, inspiriert von den A-Tagen Greifswald, ausprobieren. Unser bisheriges Konzept finden wir natürlich weiterhin sehr charmant und es ist auch immer schön, zwei Wochen lang an unterschiedlichen Orten der Stadt den Anarchismus zum Mittelpunkt zu machen und damit auch für Bewegung in Potsdam zu sorgen. Aber das Fomat, wie wir es in Greifswald kennen gelernt haben, scheint sehr effektiv zu sein, wenn es darum geht, möglichst viele Leute in einen Diskurs nachhaltig einzubinden. So haben wir uns dafür entschieden, das "Greifswalder Modell" in diesem Jahr nach Potsdam zu bringen.
Was sind eure langfristigen Ziele mit der Organisation der A-Tage?
Letztes Jahr hatten wir im Vorwort unseres Programmheftes Folgendes geschrieben: „Die Anarchistischen Tage Potsdam sind organisiert und getragen von einer Gruppe von interessierten Einzelpersonen in Potsdam und Berlin. Wir sehen das Projekt als Beitrag zu einer unbeugsam kollektiven Kultur des Optimismus und der Schönheit. Aus dieser Kultur, der sozialen Aneignung der Mittel unserer gesellschaftlichen Reproduktion und der fortwährenden Sprengung aller Institutionen der Herrschaft des Menschen über den Menschen wird die soziale Revolution ihren Ursprung nehmen.“ Im wesentlichen sind die A-Tage eine politische Veranstaltungsreihe mit Bildungs- und Kulturcharakter. Wir wollen Angebote schaffen, die den theoretischen Unterbau der anarchistischen Organisation gewährleisten und so die Besucher:innen bestärken, sich weiterführend mit Anarchismus zu beschäftigen, ferner sich bestehenden Gruppen anzuschließen, oder selbst welche aufzubauen. Einerseits wollen wir einen Rahmen für bereits agitierte Anarchist:innen schaffen, sich mehr mit den Inhalten zu befassen, anderseits wollen wir einen niedrigschwelligen Zugang für Nicht-Anarchist:innen und Interessierte ermöglichen. Generell sollen die A-Tage dafür sorgen, einen anarchistischen Diskurs zu etablieren und ökonomische, soziale und politische Fragen mit einer anarchistischen Perspektive zu beantworten. Sichtbarkeit und Plattformen für Anarchist:innen fehlen, unserem Eindruck nach, in Potsdam. Dabei bilden sie eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Anarchismus irgendwann mal wieder gesellschaftsverändernde Kraft entwickeln kann. Diese Lücke sollen die Anarchistischen Tage Potsdam füllen.
Wie könnte man euch unterstützen? An dieser Stelle euch alles gute für die anarchistischen Tage - wünscht euch das Anarchismus.de Kollektiv
Vielen Dank! Wir freuen uns immer über mehr Reichweite, daher folgt uns gerne auf Instagram und Mastodon und erzählt Leuten von den A-Tagen und/ oder organisiert selbst welche. Wir finden es großartig, dass es in unterschiedlichen Orten diese Veranstaltungsreihe gibt: In Mecklenburg-Vorpommern, Dresden, Potsdam und zum zweiten Mal in Göttingen. Leider fallen die Leipziger A-Tage dieses Jahr aus. Aber wie schön es wäre, wenn sich mehr Städte anschließen würden und man sich durch Kontakte zu Referierenden, Erfahrungsaustausch und gegenseitige Werbung ressourcenmäßig unterstützen könnte.
Danke nochmal für diese Möglichkeit. Solidarische Grüße, die Anarchistischen Tage Potsdam